Meiningen: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2022/23“

Nein, ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen. Heute blicken wir nach dem Theater Krefeld und Mönchengladbach auf das Staatstheater Meiningen. Weitere Bilanzen sollen folgen.


Beste Produktion und berührendstes Werk:
Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold. Großes Kino mit packender hochemotionaler Musik und Seelenstriptease eines Mannes, der nicht über den Tod seiner Frau hinweg kommen will.

Entdeckung des Jahres:
Die Uraufführung von George Bizets zu Unrecht vergessenem Meisterwerk „Ivan IV“.

Beste Wiederaufnahme:
Shockheaded Peter“. Schräge Junk-Oper nach Motiven des Struwwelpeters, ein kolossales Spektakel, das den Eltern den Spiegel vorhält und Jugend ins Theater zieht.

Komik par excellence:
Figuren und Kostüme im „Barbier von Sevilla“, allen voran Mikko Järviluoto als Don Basilio

Beste Gesangsleistung (Hauptpartie):
Mercedes Arcuri als Marie in „Ivan IV“;
Charles Workman als Paul in „Die tote Stadt“.

Beste Gesangsleistung (Nebenrolle):
Sara-Maria Saalmann als Kapitänin Louisa Vampa in „Der Graf von Monte Christo“. Kraftvoll, geschmeidig wie ein Raubtier, lasziv mit einem Hauch von Domina.

Bestes Dirigat:
Salome“. Harish Shankar und der Meininger Hofkapelle glückt die Klangerzählung so intensiv, dass man weder Worte noch ausladende Szenen braucht.

Beste Regie:
Hinrich Horstkotte. Zusammen mit dem ehemaligen GMD Philippe Bach und der Meininger Hofkapelle „Ivan IV“ schuf er ein Monumentalwerk, frei von russischer Folklore.

Bestes Bühnenbild:
Dietrich von Grebmer und Regisseurin Brigitte Fassbaender kreierten für „Der Barbier von Sevilla“ einen überdimensionalen Schreibtisch, höchst wandelbar, auf, vor und in dem sich alles abspielt.

Beste Kostüme:
Shockheaded Peter“. Sexy, schrill, überzeichnet und quietschbunt.

Beste Chorleistung:
In „Ivan IV“ agiert der Chor unter Leitung von Manuel Bethe über drei Viertel der Gesamtzeit und gestaltet aktiv und eindrucksvoll das Geschehen, und das in Französisch.

Überraschung der Saison:
Die Auszeichnung für das „Publikum des Jahres“ der Musikzeitschrift „Concerti“.


Die Bilanz zogen Inge und Claus Kutsche.