DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz

 

http://www.winterstein-theater.de/

 

 

Premiere am 17. September 2022

 

Deutsche Erstaufführung von Michael William Balfes

„Falstaff-Oper“ von 1838 in Annaberg-Buchholz

Eduard-von-Winterstein-Theater führt seine Entdeckung vergessener Opern weiter

Die Erzgebirgs-Stadt Annaberg-Buchholz verfügt seit 1893 mit dem  Eduard-von-Winterstein-Theater über ein schmuckes Zwei-Sparten Haus und mit der Erzgebirgischen Philharmonie über ein leistungsfähiges Orchester. Zwischen 2010 und 2021 mischte der umtriebige Ingolf Huhn die Spielpläne mit seinen kreativen Ideen auf.

 

Seit dem vergangenen Jahr hat der aus Graz stammende Bariton Moritz Gogg die Intendanz des 320-Plätze-Hauses übernommen und mit Erich Zeisls Oper „Leonce und Lena“ sogar den Enkel des Komponisten aus Los Angeles ins Erzgebirge gelockt. Auch dass man Michael William Balfes Vertonung der Komödie „Die lustigen Weiber von Windsor“ von 1838 ausgegraben hat und diese den Bearbeitungen des Shakespeare-Stoffes von Otto Nikolai (1810-1849) des Jahres 1846 und Guiseppe Verdi (1813-1901) aus dem Jahre 1890 gegenüber stellte, sichert die Hoffnung, dass in Annaberg-Buchholz auch künftig Besonderheiten zu erwarten sind.

Michael William Balfe (1808-1870) wurde in Dublin geboren und früh als musikalisches Talent entdeckt. Im Alter von sechszehn Jahren ging er zunächst nach London und 1825 nach Paris. Ob Balfe bereits in London Gioachino Rossini (1792-1868) kennen lernte oder ob das erst in Paris erfolgte, bleibt unklar. Es war aber Rossinis Empfehlung, in Italien weiteren Musikunterricht zu nehmen und vor allem Gesang zu studieren.

 

In den folgenden Jahren war er bevorzugt in London sowie Paris als Sänger und Opernkomponist mit Abstechern nach Italien, Deutschland, Österreich bzw. Russland gegebenenfalls auch als erfolgreicher Dirigent tätig. Einundzwanzig seiner Opern in italienischer, französischer und englischer Sprache sind überliefert, mit denen Balfe den Geschmack des britischen Publikums traf, aber auch internationale Erfolge feierte. Tatsächlich hat der Komponist an die achtunddreißig Bühnenwerke zum Teil den Bedingungen von Opernhäusern oder dem differenzierten Publikumsgeschmack angepasst. Neben den Kompositionen von mindestens acht Kantaten, einer Symphonie, zahlreicher Balladen und Lieder beschäftigte sich Michael William Balfe in seinen späten Jahren auch mit Kammermusik.

Es war Elisabeth I. (1533-1603), die William Shakespeare (1564-1616) im Jahre 1597 beauftragte, zur Abwechslung von seinen dramatischen Werken ein Lustspiel zu schreiben. In der Person des Königs Heinrich IV., seines Zeitgenossen Ritter John Oldcastle sowie in italienischen Novellen des Giovanni Francesco  Straparola (um 1480-etwa 1558)und der Sammlung  des Giovanni FlorentinoIl Pecorone“ fand Shakespeare Anregungen zur Komödie „Die lustigen Weiber von Windsor“.

Weil zwei Opern des Michael William Balfe in London einen großen künstlerischen und gewaltigen finanziellen Erfolg erreichten, erhielt der Ire den Eilauftrag für eine Weiterung in der „Italian Opera“.

 

 

Nachdem bereits Antonio Saleri (1750-1825) im Jahre 1799 mit seiner Oper „Falstaff ossia Le tre burle“ den Stoff aufgenommen hatte, schrieb der in London lebende Übersetzer und Schriftsteller Manfredo Maggioni (1810-1870) für Balfes erste „italienische Oper für London“ 1836 ein Libretto nach Motiven der Shakespeare-Komödie in italienischer Sprache. Maggioni hat auch mit Guiseppe Verdi an Lied-Bearbeitungen zusammen gearbeitet und war mit der Sängerin Giuseppina Strepponi (1815-1897), der späteren Lebensgefährtin und zweiten Ehefrau Guiseppe Verdis (1813-1901), befreundet. Zudem unterstützte  Balfe Verdi bei Proben zur Oper „I Masnadieri“ in London. Ebenso wird vermutet, dass der Librettist der späteren Verdi- „Falstaff-Vertonung“ von 1889, Arrigo Boito (1842-1918), die geniale Verknappung des fünf-aktigen Shakespeare-Stoffes auf die zwei Akte des Librettos der Balfe-Oper während seines Studiums im Mailänder Konservatorium vom Jahre 1853 bis 1861 kennen gelernt hatte und zu nutzen wusste. Die ähnliche Dramaturgie beider Falstaff-Opern lässt zumindest diese Vermutung zu. Balfe hatte für die Fertigstellung seines „Falstaff“ nur wenig Zeit, von acht Wochen wurde berichtet, so dass er sich Segmente aus Kompositionen seiner italienischen Opern der Mailänder Zeit borgte und trotzdem ein homogenes Werk mit einer Fülle großartiger Melodien  sowie einer beeindruckenden Orchestrierung im Stile des späten Donizettis (1797-1848) zur Aufführung brachte. Auch merkt man der Oper an, dass der Komponist ein ausgebildeter Sänger mit reicher Bühnenerfahrung war. Keine der Partien enttäuscht, jeder der Solisten bekommt seine großen Momente. Es standen doch für die Uraufführung vier strahlende Sänger-Stars der Zeit für die Bewältigung der enormen vokalen Schwierigkeiten zur Verfügung: die Koloratur-Sopranistin Giulia Grisi (1811-1869), der Tenor Giovanni Battista Rubini (1795-1854), der Bariton Antonio Tamburini (1800-1876) und vor allem der Bassist Luigi Lablache (1794-1858) als Falstaff.

 

  

Der Erfolg der Erstaufführungsserie der Oper in der „Her Majesty´s Theatre“Londons von 1838 konnte in der Folgezeit mit weiteren Inszenierungen nicht wiederholt werden. Vor allem wurde vermutet, dass die Bassisten die Vergleiche mit den Interpretationen des Falstaff von Lablache und des Fenton von Rubini scheuten. Als bei einem Versuch der Wiederaufnahme im Jahre 1848, Balfe war inzwischen auch der Direktor der Oper geworden, die „schwedische Nachtigall Jenny Lind (1820-1887) die Partie der Frau Ford zurück gab, scheitere das Projekt endgültig.

Die Inszenierung und Ausstattung hatte Christian von Götz, unterstützt vom Choreographen Leszek Kuligowski sowie den Haus-Dramaturgen Lür Jaenike und Annelen Hasselwander, übernommen. Götz verortete Handlung und Personen in der Welt eines Zirkus, um den Figuren eine Grundlage der Entwicklung ihrer komödiantisch-anarchischen Charaktere zu schaffen. Um die Handlung voranzutreiben, wurden die oft als belastend empfundenen Rezitative durch ins Deutsche übersetzte Zitate aus Shakespeare-Originalen ersetzt und von der Schauspielerin des Hausensembles Nadja Schimonowsky mit tollem Stimm- und Körpereinsatz als „der schöne Will“ auf die Bühne gebracht. Mit gekonnter Personenführung, intensiver Einbeziehung der von Jens Olaf Burow und Daniele Pilato hervorragend vorbereiteten Chor-Statisten-Gruppe des Eduard- von-Winterstein-Theaters gelang es, die Agierenden miteinander in Beziehung zu bringen. Da war vieles konzentriert, bündig und schlagkräftig. Da wurde von den großen und kleinen Unmöglichkeiten des Menschseins erzählt, wurden Normen ausgelotet und der Zuschauer mit einem Übermaß an Phantasie überschüttet. Die darstellerisch souveräne und mit einem facettenreichen klangschönen Sopran als Mrs. Ford glänzende Bettina Grothkopf zerschlug bereits mit ihrer Auftrittsarie die Shakespeare’sche Männerphalanx, indem sie sechs Statisten einer „Freiheitsdressur“ unterzog. Mit dem genialen Einfall, Frauen in Männerkleidung und Männer in Frauengarderobe auftreten zulassen, war diese Orientierung weiter gestützt.

Es war immer lustig und es war immer etwas los auf der kleinen Bühne. Selbst als Wjatscheslaw Sobolev die teuflisch hochgelegte, über das hohe-C hinaus gehende Tenorarie des Fenton schmetterte, lockerte das Felsenstein-Pferd die sentimentale Stimmung auf.

 

 

Auch wenn Fenton und Annetta im Liebesduett gefühlsmäßig im siebten Himmel sind, wurden Mittel der Luftakrobatik eingesetzt. Dank des häufigen Szenenbeifalls entstand stellenweise sogar der Eindruck einer Nummernrevue. Aber wie im richtigen Leben, scheitert der Individualist Falstaff am Wiederspruch selbst der Zirkus-Gesellschaft und endet als angepasster „Normal-Bürger“, also eigentlich tragisch.

Was blieb sonst in Erinnerung: Das wunderbare Terzett der Pferde-Domtöse Mrs.Ford-Grothkopf, der Bodenakrobatin Mrs. Page-Heain Youn und der Hula-Hoop-Artistin Anetta-Maria Rüssel. Die überraschend kupierte Waschkorbszene mit einem grandios komödiantisch agierendem Jason-Nandor Tomory, der auch sonst als Mr. Ford mit einem reifen kultivierten der jeweiligen Situation angepasster Bariton-Stimme aufwartete. Bettina Corthy-Hildebrandt singt und spielt mit der ganzen Palette ihrer Erfahrungen, so dass sie als Mrs. Quickly mit Bravour überzeugte. Der Chor-Bassist Jinsei Park komplettierte als Mr. Page die Ensembleleistung. Der Falstaff Lásló Vargas ließ die komischen Momente der Handlung mal wie selbstverständlich mitlaufen und mal drastisch ausufern, stets aber mit sicherem Timing, was wann angesagt ist. Beeindruckend der Einsatz seines trotz lautstarkem Orchestergraben kultivierten Basses, der mit seiner Abschlussarie nochmals aufdrehte. Und da wäre noch das interessante Pferd, eine Leihgabe der komischen Oper Berlin aus der historischen Felsenstein-Inszenierung von Offenbachs „Blaubart“, die von den Herren Christian Harnisch, Clemens Leibelt und Lars Riedel gekonnt in Szene gesetzt wurde. Mit der wie ein Wirbelwind daherkommenden schneidig-fetzigen Ouvertüre führte die vom Generalmusikdirektor Jens Georg Bachmann konzentriert geleitete Erzgebirgische Philharmonie Aue in den Abend ein. Präzise gab Bachmann den Musikern und den Solisten ihre Einsätze .Die Musiker der Erzgebirgischen Philharmonie sicherten neben einer ausgereiften Sängerbegleitung eine berückende sinfonische Ausmalung der Partitur zur Geltung.

 

Heftiger Beifall des leider nicht ausverkauften Hauses dankte für eine homogene Ensembleleistung. Es war ein Samstag-Abend, der wieder einmal unser Verlangen nach Musik abseits des gängigen Repertoires gestillt hatte. Nicht zuletzt, weil diese Neuentdeckungen die Regie vor halsbrecherischen Verfremdungen und Aktualisierungen schützen.

 

Autor der Bilder: © Dirk Rückschloß / Pixore Photography

Thomas Thielemann, 19.9.22

 

 

DER LIEBESTRANK

Premiere: 19.1. 2020

 

Wer gerade in Annaberg die Sonderausstellung „Volkskunst trifft Volksfest“ besucht, bekommt ein paar Modelle zu sehen, die ihn stark an ein zentrales Bühnenelement erinnern, das Kristina Böcher auf die „Liebestrank“-Bühne gebaut hat. Sie finden sich auch in der „Manufaktur der Träume“, dieser reichen, zum Staunen anregenden Wundersammlung von Figuren, Puppen und Modellen für ein großes und kleines Publikum. Was wir also sehen, ist eine schräge Scheibe, die im zweiten Akt ihre wahre Bedeutung enthüllt. Nun nämlich dient sie als karusselartige Plattform, auf der sich die verschiedensten Symbole befinden: ein Holzpferd (für den hölzernen Belcore), ein Riesenglas mit Alkohol und Herzchen (es steht für den Wunderdoktor Dulcamara), zwei große Schachbrettfiguren: ein Bauer und eine Dame (keine Frage, wem sie gehören).

Die Liebe sei ein seltsames Spiel, sagt man. Nein, die Handlung des „Liebestranks“ spielt in der überaus gelungenen Inszenierung von Birgit Eckenweber nicht in einer Traumfabrik, sondern auf einer drehbaren Symbolbühne, auf der die Figuren sich einmal wie auf einem Schachbrett bewegen. Das Programmheft zitiert Paul Watzlawick, der mit der „Anleitung zum Unglücklichsein“ eine beeindruckende Kommunikationsstudie schrieb. Watzlawick zitierte damals den Psychologen Alan Watts, wonach das Leben ein Spiel sei, dessen erste Spielregel laute, dass das Spiel kein Spiel, sondern todernst sei. Und so begegnen uns Nemorino und Adina, Belcore und Dulcamara auf einer Bühne, auf der der sinnigerweise zitierte Tristan-Akkord seinen guten Platz hat: denn hier geht es wahrlich ums sog. Eingemachte. Adina also schaut – anders, als Nemorino es wahrhaben will – durchaus interessiert auf den jungen Mann, als sie so tut, als lese sie die Geschichte von Tristan und Isolde; ertappt, dreht sie geschwind das umgekehrt gehaltene Buch um (das sind so Details einer genauen Regie). Am Ende wird sie sich selbst überwinden, indem sie ihre Kruste durchbricht, mit der sie sich immer vor der Liebe schützen zu müssen glaubte. Das Wunder der Verwandlung (wie Hofmannsthal das genannt hätte) geht freilich unter Schmerzen vor sich; ergreifender Höhepunkt dieser zunächst als „farsa“ angelegten Dorfkomödie ist die Umarmung, mit der sich Adina schließlich zu Nemorino bekennt. Wer hören konnte, hat es vorher schon gewusst, denn hinter der scheinbar kapriziösen Adina verbarg sich schon immer eine tief empfindende Frau, die den Belcore – was für ein Name für diesen brutalen Don Juan des Krieges! - hasst, weil dieser nichts anderes kann als mit der Waffe in der Hand auf Einschüchterung und Überrumpelung zu setzen. Allein er schafft es nicht, Adina wirklich davon zu überzeugen, dass er, der Großsprecher, der Richtige für sie sei. Sie spielt lieber die Eva, die ihrem Adam namens Nemorino seinen angebissenen Apfel bewusst zurückgibt. Und fast würden sie sich schon sogleich küssen – würde nicht Belcore die Szene stören.

Nichts in Text und Musik spricht gegen diese Deutung der beiden jungen Leute – und weit entfernt ist die (mögliche) Vermutung, dass Adina am Anfang dieser Geschichte beziehungsgestört sei, weil sie es (angeblich) liebt, von Mann zu Mann zu hüpfen. Stimmt nicht: Donizettis Musik behauptet, bei allen buffonesken Tönen, die auch Adina gehören, das Gegenteil. Es ist nur eine Kunst, Adina von Anfang an als jene Frau zu zeigen, als die sie am Ende – wie gesagt: unter den Schmerzen der Verwandlung – erscheint. Hier ist es Madelaine Vogt, die die Pächterin mit ihrem hohen Soubretten-Sopran und körperlichem Einsatz munter zeichnet, wobei sie leider nur die hohen Töne regelmäßig von unten anschleift. Was für sie spricht, sind ihr heller Ton und ihr unbedingtes Spiel, mit der sie aus der Figur, die leicht zum Klischee einer „typischen“ Widerspenstigen werden könnte (wären da nicht ihre frühen zarten Töne gegen den noch nicht bekannten Geliebten und das 1. Finale), bei allem Symbolismus dieser Inszenierung einen wirklichen Menschen macht.

Und Dulcamara? Er ist in dieser hintergründigen, dabei „nur“ die Charaktere genau auslotenden Inszenierung so etwas wie ein gefallener Engel und lustiger Doktor Diabolus, der stets das Böse will und doch das Gute schafft, zwischendurch auch einige seiner schwarzen Federn verliert, wenn er nicht gerade seinen Rollkoffer öffnet, in dem sich nichts weiter verbirgt als ein Kühlschrank mit seinen grünen Flaschen. Kein Wunder, dass schon seine Schuhe – glitzernde Snickers mit einer Leuchtsohle – golden glänzen... László Varga macht das zum gesteigerten Vergnügen des Publikums.

Mit dem Nemorino des Jason Lee hat die Inszenierung einen lyrischen Tenor zur Verfügung, der dem leidenden wie übermütigen naiven und sympathischen jungen Mann eine schön timbrierte Stimme und schlanke Statur gibt. „Una futriva lagrima“, die Romanze, die hier als einziges Stück in Italienisch gesungen wird, wird zur empfindsamen Gefühlsäußerung: im Angesicht der (Schach-)Dame. Neben ihm steht mit Jason-Nandor Tomory ein vokal vergleichsweise grobkörniger Sergeant, der es eher liebt, die „Liebe“ mit Gewalt zu erzwingen als durch Zartheit zu glänzen. Beifall auch für die Wurzen der Gianetta (Bridgette Brothers, auch sie  mit Tracht und ruralen Gummistiefeln ausgerüstet, macht das durchaus nicht wurzenhaft) – und für den Chor des Eduard-von-Winterstein-Theaters, der auch diesmal durch Mitglieder der Freien Chorvereinigung Coruso und einem Extrachor verstärkt wurde. Und spielen können sie auch: wunderbar, wie sie den Quacksalber als äußerst energetische Gruppe umringen (Her mit dem Wundermittel!); die Regie schafft es sowieso immer wieder, optisch interessante Gruppen zu bilden. Und stehen sie einmal, wie im ersten Finale, an der Rampe, hat es seinen guten Sinn: weil der emotionale Siedepunkt des ersten Akts, in dem die Musik plötzlich wie bester Verdi klingt, auch dann gespielt werden kann, wenn die aufgereihten Solisten wissen, was sie da warum singen. Die Musik ist an dieser Stelle klüger als der Text, in dem es angeblich um Adinas Plan geht, Nemorino zu besiegen. In Wahrheit geht es bei Adina (unterschwellig??) darum, den Hass auf den schrecklichen Belcore, nicht den Heiratsplan gegen Nemorino in Worte zu bringen; allein man muss es hören und „nur“ danach inszenieren. Völlig unabhängig davon, was sich die Librettisten 1832 unter weiblicher Verschlagenheit vorstellten, denn der Ton macht die Musik, nicht das Wort.

Das Haus ist klein, nicht mehr als 320 Plätze können hier besetzt werden, aber im Orchestergraben haben an diesem Abend 35 Musiker der Erzgebirgischen Philharmonie Aue relativ viel Platz. Unter dem GMD Naoki Takahashi spielen sie einen mal robusten (Donizetti liebte die Tutti-Effekte) wie subtilen Klang heraus. Es ist im Übrigen ein kleines Wunder, dass eine Belcanto-Oper wie Donizettis „Liebestrank“ an diesem kleinen Haus – nur mit Chorgästen ergänzt – mit lediglich acht festangestellten Solisten auf einem guten musikalischen Niveau aufgeführt werden kann. Ebenso erstaunlich ist die Tatsache, dass hier mit Birgit Eckenweber zum wiederholten Mal eine Regisseurin am Regiepult steht, die die großen Werke – unvergesslich ihre psychologisch ungewöhnlich überzeugende „Così“ und ihre poetische „Boheme“- in der sog. Provinz ohne Mätzchen, aber mit interpretatorischen Verstand und poetischer Freiheit als psychologisches und zugleich spielerisches Theater auf die Bühne zu bringen vermag. So gesehen, sind schon die fünf Luftballons, die über der Bühne schweben, beides zugleich: eine poetische Metapher und die Andeutung eines Spielraums.

Starker Beifall für Sänger, Musiker und die „Schwarzen“: zurecht, denn wieder einmal hat das „kleine“ Theater in Annaberg-Buchholz gutes, spielfreudiges und erstaunlich intelligentes Musiktheater gezeigt, das den Opernfreund keinesfalls unterfordert, nachhaltig anregt – und vielleicht beim Besuch des nunmehr genau 500 Jahre alten Annaberger Volksfests namens „Kät“ über das Spiel des Lebens nachdenken lässt.

 

Frank Piontek, 20.1. 2020

Fotos: ©Dirk Rückschloß/BUR Werbung

 

ZUM GROßADMIRAL

Besuchte Aufführung am 12.05.19 (Premiere am 28.04.19)

Absolute Lortzing-Rarität

Annaberg-Buchholz liegt mit seinen etwa 20.000 Einwohnern im idyllischen Erzgebirge ziemlich am Rande der Republik, fast an der tschechischen Grenze. Außer dem ehemaligen Bergbau, Kunsthandwerk und jeder Menge an schöner Landschaft, gibt es da auch noch das Eduard-von Winterstein-Theater, ein Haus von aktuell 302 Sitzplätzen, das seit knapp eineinviertel Jahrhunderten für das kulturelle Überleben in der Provinz sorgt. Das klingt jetzt sicherlich etwas ironisch, ist jedoch sehr liebevoll gemeint, denn wenn man sich in der Stadt umhört, merkt man den Stolz auf "ihr Stadttheater". Das Haus hat, trotz moderner Beleuchtungskörper, viel von seinem historischem Charme behalten, und gefällt mit lindgrün-goldener Optik im Zuschauerraum. Soweit zu den Grundtangenten meines ersten Besuches am Ort.

Natürlich fährt ein Kritiker nicht einfach zu einer "Tosca" oder einem "Bettelstudenten" an einen recht entlegenen Ort, das weiß auch der langjährige Intendant, Ingolf Huhn, und so hat er eine Reihe von Opernraritäten mit etwa einer pro Spielzeit angesetzt, die die "Spezialisten" nach Annaberg locken soll und lockt ! Vorwiegend kümmert man sich dort um das vergessene, deutsche Repertoire, so hatte man sich, nach "Die Rolandsknappen", zum zweiten Mal an eine Rarität von Albert Lortzing gewagt: "Zum Großadmiral" dürfte selbst eingefleischten Kennern kein echter Begriff sein. Schade, eigentlich, denn was man erleben durfte, machte Appetit, das Werk öfter zu sehen und zu hören. Die Handlung ist eine typische komische Oper ihrer Zeit und hat eine absolut schlüssig funktionierende Dramatugie.

Am englischen Hofe regiert der leichtlebige Thronerbe Heinrich (eigentlich ist damit Karl II. gemeint) und vernachlässigt seine Gemahlin Katharina (Vorbild Figaro-Gräfin), die sich wiederum mit dem berüchtigten Lord Rochester verbündet, um ihren Gatten an seine Pflichten als kommender Regent zu erinnern. Page Eduard schlägt das Gasthaus "Zum Großadmiral" als Ort dafür vor, wo seine geliebte Betty, als Nichte des Wirtes Cobb Movbrai (ein ehemaliger Freibeuter und Bassbuffo) lebt. Zwischen Seeleuten schürzt Rochester nicht nur die Intrige, sondern entdeckt in Betty auch die Tochter seiner verschollenen Schwester. Im dritten Akt fügt sich alles, wie es soll: die royalen Gatten finden (wenigstens pro forma) zueinander, der königliche Liederjan hat vom Volk die Wahrheit über sich erfahren und der Page bekommt seine Betty, natürlich nachdem sich alle mal so richtig blamiert haben. Lortzings Musik klingt schon in der Ouvertüre etwas französischer als sonst, der Rest ist bester Lortzing mit fein komponierten Ensembles, gut gestalteten Arien und der liedhaften "Volkstümlichkeit". Also Alles im Allem sehr spielenswert.

Ingolf Huhns Konzept bei den Ausgrabungen heißt, sie erst einmal so spielen, wie sie geschrieben wurden. Für Freunde konventionellen Musiktheaters die pure Freude, Garant dafür ist er selbst als Regisseur. Keine Experimente, also gibt es von Tilo Staudte einen sehr schönen englischen Hof in cremefarben auf die Bühne gezaubert, mit blauen Tüchern verhängt und bizarren, ausgestopften Fischen samt Krokodil wird eine Hafenkneipe daraus, die sich bei offener Bühne "Ruckzuck" wieder zurückverwandeln lässt. Brigitte Golbs entwarf dazu die passenden historischen Kostüme . Die Personenregie funktioniert ordentlich, könnte jedoch in Details mehr Zwischenmenschliches unter der Personnage entstehen lassen, so bleiben die Figuren der Handlung doch eher "Figurinen".

Wie immer bei Lortzing sind die einzelnen Rollen richtiges Schauspieler- und Sängerfutter: Den rechten Lustspielton erwischt vor allem Jason Lee als quirliger Thronfolger mit etwas dünner Höhe, gelingt es ihm den Gesinnungswandel des kommenden Regenten zu beglaubigen.

Gemahlin Katharina mit majestätischer, reifer Frauenwürde ist bei Bettina Grothkopf in rechten Händen. Jason-Nandor Tomory hat als Figaro/Rochester musikalisch einiges zu bewältigen und macht das auch mit imponierendem Bariton, hier wäre jedoch eine gewichtige Hand gegen seine szenische Steife noch nötig. Copp Movbai ist der Bass-Buffo, Làszlò Varga schafft mit relativ hell klingendem Bassbariton und sportlicher Erscheinung eine eigenwillige, doch adäquate Deutung, statt dem üblichen "Bassbuffo". Anna Bineta Diouf als Betty wäre die Soubrette, Liebreiz, Koketterie und Charakter sind mehr als stimmig, doch das sehr (angenehme)  tiefe Timbre, lässt mich vermuten, das hier eigentlich ein Mezzosopran statt eines Sopranes singt. Der Page Eduard wäre im Original eigentlich der Tenorbuffo, doch Madelaine Vogt gibt ihn als Hosenrolle (rückt ihn so in Cherubino-Nähe) und gefällt mit munterem Spiel und frischem Sopran. Die Nebenrollen sind durchweg gut besetzt. Ganz großartig die Chöre (Jens Olaf Buhrow , choreographisch Sigrun Kressmann), die besonders klangprächtig mit leuchtenden Höhen und viel spielerischem Talent und Engagement herausstechen. GMD Naoshi Takahashi am Pult stellt die Originalität und das gediegene Handwerk Lortzings bestens heraus. Im Graben spielt "Erzgebirge Aue", natürlich nicht die Fußballmannschaft, sondern die Erzgebirgische Philharmonie Aue auf, bis auf ein paar Hornpatzer auch sehr erfreulich.

Fazit: eine Fahrt nach Annaberg-Buchholz lohnt sehr, sowohl die Aufführung, wie natürlich das Kennenlernen eines so selten gegebenen Werkes. Auch die etwas veränderten Besetzungen aus dem Ensemble heraus entsprechen den Gegebenheiten zu Lortzings Zeiten und erlangen dadurch theaterpraktische Authenzität. Trotzdem würde ich der Oper "Zum Großadmiral" auch gerne noch einmal an anderen Bühnen begegnen, verdient hätte sie es. Vielleicht auch als Hochschulproduktion, denn gerade an der Spieloper können junge Sänger doch viel lernen.

 

Martin Freitag 15.5.2019

Fotos (c) Dirk Rückschloß

 

DIE SIEBEN GEISLEIN

von Engelbert Humperdinck

Vorstellung am 13. 12. 2016

Eine Opernausgrabung

Mit einer weiteren Ausgrabung – dem Märchenspiel für die Kleinen „Die sieben Geislein“ von Engelbert Humperdinck – beschenkte das Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz in der Vorweihnachtszeit die Kinder im Erzgebirge. Angekündigt als Opernausgrabung, erzählt das Singspiel in einem Akt die Geschichte von den unvorsichtigen Geislein, dem gefräßigen Wolf und der alles rettenden Mutter.

Engelbert Humperdinck (1854 – 1921), der von 1872 bis 1876 am Kölner Konservatorium bei Ferdinand Hiller studierte, lernte während seines Studienjahres in Italien Richard Wagner kennen, der ihn zu seinem Assistenten in Bayreuth für die Uraufführung des Parsifal berief. Später unterrichtete er Wagners Sohn Siegfried im Tonsatz. Nach längeren Reisen lehrte Humperdinck Komposition an den Hochschulen in Barcelona, Köln, Frankfurt a.M. und von 1900 bis 1920 in Berlin. Mit seiner Märchenoper „Hänsel und Gretel“ hatte er einen großen Welterfolg. Bis heute zählt diese Oper zu den meistgespielten Werken weltweit! Seine Vorliebe für Märchenopern bewies er auch mit den Stücken „Die sieben Geislein“ (1895) und „Dornröschen“ (1902). Seine Oper „Königskinder“ wurde 1911 sogar an der New Yorker Metropolitan Opera uraufgeführt.

Das Libretto für das Singspiel Die sieben Geislein hatte Adelheid Wette, die Schwester des Komponisten, nach dem Märchen der Gebrüder Grimm verfasst. Es war ursprünglich als Stück für den Familienkreis gedacht, das am Heiligen Abend von Kindern vor den Eltern und Großeltern gespielt und gesungen werden sollte.

Das unvollendete Werk wurde am 19. Dezember 1895 – genau 120 Jahre vor der Premiere in Annaberg-Buchholz – am Berliner Schillertheater an der Jannowitzbrücke uraufgeführt. Weil das Singspiel aber sehr kurz war – Humperdinck widerstand allen Bitten, es zu einer abendfüllenden Oper umzuarbeiten –, wurde es nicht ins Repertoire übernommen. Da das Märchenspiel im Vorjahr in Annaberg großen Erfolg hatte (es wurde am 26. Dezember 2015 als 4. Philharmonisches Konzert der Erzgebirgischen Philharmonie in voller Instrumentation in der St. Nicolaikirche in Aue aufgeführt), wurde es heuer in der Vorweihnachtszeit wiederaufgenommen.

Tamara Korber und Ingolf Huhn, der Intendant des Theaters in Annaberg, inszenierten das Singspiel als Puppentheater mit Klavierbegleitung für die Allerkleinsten (Kinder ab 4 Jahren). Es gelang ihnen so gut, dass viele der Kinder während des Stücks voll mitgingen und beispielsweise der alten Geis mit Zurufen und Winken bei ihrer Suche nach den sieben Geislein aktiv halfen. Auch in den humorvoll gehaltenen Szenen mit dem Wolf lachten die Kleinen aus vollem Hals – sie lebten im Theater einfach mit. Für die praktikabel gehaltene Bühnenausstattung zeichnete Peter Gross verantwortlich, für die köstlichen Puppen der sieben Geislein Francesca Ciola.

Die alte Geis wurde von der Sopranistin Bettina Corthy-Hildebrandt wunderbar gespielt. Sie hatte von Anfang an die Sympathien der Kinder gewonnen. Den „bösen“ Wolf gab der Bariton Leander de Marel nicht minder humorvoll, wenngleich die kleinen Zuschauer unter seiner „Gefräßigkeit“ mitlitten. Komödiantisch agierte auch der Pianist Karl Friedrich Winter während seiner Begleitung am Klavier. Der lieblichen Musik Humperdincks tat dies keinen Abbruch. 

Die sieben Geislein wurden von Ute Bräuer, Amandine Cadé, Anne Mehler, Christine Richter, Verena Rollin, Juliane Roscher-Zücker und Heike Schlott gesungen und gespielt, wobei sie beim „lebendigen“ Puppenspiel mit voller Begeisterung zu Werke gingen.

Das Publikum – die Kinder waren von Müttern und Großeltern begleitet – dankte am Schluss den Puppenspielern und Sängern sowie dem Pianisten mit starkem Beifall.

Bilder (c) Theater Aannaberg Buchholz / Dirk Rückschloss

Udo Pacolt 16.12.2016

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)

 

 

 

COSÌ FAN TUTTE

Premiere: 17.1. 2016

Besuchte Aufführung: 10.4. 2016

Goldrichtig (!): Falsches (?) Spiel im richtigen (?) Spiel (?)

Als Guglielmo und Dorabella sich gegenseitig – und sehr sehr ungeduldig - ausziehen, hat der Opernfreund das Vergnügen, einen wunderbaren kleinen Dialog zwischen zwei älteren Opernfreundinnen zu belauschen, die glücklicherweise neben ihm sitzen: „Das hat Mozart nicht gewollt“, sagt die eine. „Doch“, antwortet die andere.

Was Mozart in Sachen Così „gewollt“ hat, ist so eindeutig nicht. Vielleicht und vermutlich hat der Musiker etwas Anderes, Mehrdeutigeres gewollt als Lorenzo da Ponte, dem es wohl eher auf ein geistreiches Experiment mit absehbaren Verläufen ankam. Aber gibt es da nicht die Musik? Ist sie nicht immer eindeutig? Weit gefehlt – gerade in dieser außergewöhnlichen (und außergewöhnlich schwierig zu inszenierenden) Oper ist die Frage, wie ernst dieses ganze Spiel ist, wo die Lüge beginnt und die Falschheit aufhört, wo „echte“ Gefühle im Spiel (!) sind und wo richtig (!) gespielt wird, auch mit Blick auf die Musik nicht ganz eindeutig zu beantworten. Wenn kurz vor der köstlichen – und in seiner Dialektik geradezu sinnfällig kommentierten – Szene ein neues Paar zusammenfindet, dann ist das so klar wie die erotische Begegnung von Ferrando und Fiordiligi. Stefan Kunze hat in seinem großen Mozart-Buch viele Seiten gebraucht, um die Begegnung von Ferrando und Fiordiligi (im Duett Nr. 29) zu erläutern – aber wo genau das Spiel aufhört, kann auch er, begreiflicherweise, nicht präzis aus der Partitur herleiten. Nur dass plötzlich echte Emotion in die Unklarheit hineindringt: das ist völlig klar. Seltsamerweise hat das der hochmusikalische und dramaturgisch gewiefte Joachim Kaiser (in Mein Name ist Sarastro) ganz anders gehört. Dass erst im Lauf des Stücks die „richtigen“, also gattungsmäßig und konventionell zusammengehörenden Stimmtypen Sopran & Tenor und Mezzo & Bariton zusammenkommen, sagt ja noch nichts über die Stimmigkeit ihrer Beziehungen aus – wenn es auch ein höchst deutlicher Wink mit dem Notenschlüssel war, den Mozart hier geschwungen hat.

Was also passiert wirklich in dieser Oper über wechselnde Partnerschaften? Wie ist die Konfrontation der Paare unter heutigen Paarbeziehungsbedingungen szenisch zu „lösen“? Und kann man heute noch ein „Happy end“ inszenieren, nachdem sich die Paare wechselseitig so verletzt und enttäuscht – aber auch über Kreuz erfreut haben? Und unter welchen Bedingungen wirkt ein „Bad end“ überhaupt wahr?

Dass in Annaberg-Buchholz, einem der kleinsten Opernhäuser der Republik, eine szenische Deutung möglich ist, die völlig funktioniert, obwohl sie die Grundsituation scheinbar ins Gegenteil verkehrt, und dass im 320-Plätze-Haus auch musikalisch sehr gut agiert wird: es ist eines der Wunder des deutschen, von der Unesco zurecht gewürdigten Welterbes namens „Theater- und Orchesterlandschaft“. Der Rezensent gesteht, dass er schon musikalisch „perfektere“ Aufführungen gehört und szenisch aufwendigere, durchaus amüsante Inszenierungen (wie die Salzburger Interpretation von Hans Neuenfels, 2000) gesehen hat – aber er wurde in den letzten 35 Jahren von keiner Deutung dieses „Spiels“ so gepackt wie an diesem Nachmittag. Das machte: die liebevolle Genauigkeit, mit der die Regisseurin Birgit Eckenweber unter Verzicht auf alle falschen (und ziemlich blöden) Spielchen den älteren deutschen Text mit der Musik parallelisierte, und die Kraft, mit der das Ensemble sich in die faszinierende, ganz nahe und doch niemals banale Interpretation hineinschmiss. Kein Wunder also, dass dem Rezensenten im Lauf der packenden Aufführung gleich mehrere mögliche Titel für Mozarts Liebes-Experiment einfielen:

Man spielt nicht mit der Liebe

Wir spielen immer

Das Spiel von Liebe und Zufall

Die Liebe ist ein seltsames Spiel

Verwirrung der Gefühle

Lehrjahre des Gefühls

Die Liebe liebt das Wandern

Gefährliche Liebschaften

All diese literarischen Zitate passen auf eine Interpretation, in der von Anfang an klar ist, dass die Schwestern ihre dämlich verkleideten „albanerischen“ Liebhaber – denn so blöd können sie ja nicht sein – als die „Ihren“ erkennen. Die beiden arroganten und selbstbezüglichen Girlies sind übrigens selbst daran schuld, dass ihre Lover ihnen eine schlechte Komödie vorspielen; wären sie doch etwas netter und weniger aggressiv gewesen zu Despina und Alfonso, die halt gar nicht in ihre schicke Welt der Selfies und der Smartphones hineinpassen. Rache muss sein: Despina - die keine Heilige ist und nichts für lau macht - und Alfonso verbünden sich, um vor allem die Frauen hereinzulegen (und am Ende sind sie selbst bestürzt über das, was sie da provoziert haben). Die beiden Frauen aber erkennen sofort, was gespielt wird: Da folgt auf das schnelle Lachen die Wut über die beiden Idioten, die ihr Glück aufgrund einer dummen Wette denkbar blöd verspielen, dann die Schadenfreude, der Unglauben, die Enttäuschung – schließlich, schon am Ende des 1. Akts, die Selbstentlarvung der beiden Jungs.

Kein Wunder, dass im Finale 1 die Frauen ihrer Trauer Ausdruck geben: die ernstere Fiordiligi, weil sie sich gerade entliebt (sie ahnt es vielleicht schon), Dorabella, weil sie schon verliebt ist, aber es nicht sein dürfte. Schon vorher hat Guglielmo übrigens, während Ferrando alias Frank Unger „Un'aura amoroso“ ausströmen lässt, seine Nase in das Tuch Dorabellas versenkt – nicht aufgegeilt, sondern seltsam unfroh, denn auch er begreift schon schnell, dass gerade ein gewaltiges Problem auf ihn, den scheinbaren „Frauenversteher“, zukommt.

Nun aber wird es richtig spannend – denn was bedeutet es, wenn man und frau sich bewusst in den Partnertausch begibt? Natürlich kann man ein bisschen herumreden, so ein Amüsement wiegt ja nicht schwer – aber Dorabella weiß schon, dass sie sich schon im ersten Akt für den Freund ihrer Schwester interessiert hat. Und Fiordiligi weiß es noch nicht, aber sie kann es nicht verbergen. Und die Jungs und die Mädchen sind deshalb so unsicher und machen Smalltalk, weil sie wissen, dass sie nun etwas wagen, was sie – im unmittelbaren Angesicht der „richtigen“ Freundin und des Freundes – gar nicht wagen dürften. So spielen alle ein falsches Spiel – und wissen nicht, dass es in Liebesdingen ein richtig falsches gar nicht geben kann. Vielleicht nicht einmal ein ganz falsches – zumindest in dieser Oper.

„Jetzt kommt die große Krise“, sagt die ältere Dame neben mir, bevor ein richtig falsches Paar – nach der zauberhaften Serenade, die der Chor – herrlichherrlich – als Fernchor aus den beiden oberen Orchesterlogen singt – richtig zusammenkommt. Zur interpretatorischen Krise kommt es in dieser Inszenierung an keiner einzigen Stelle – denn auch Fiordiligis Blick sagt mehr als 1000 Worte, und die Musik legitimiert alles. Bettina Grothkopf ist eine wunderbare Fiordiligi, die die Arie Per Pièta sehr innig, gleichsam mit eingebautem Agathe-Ton gestaltet. Schon ihre Felsenarie kam fast tragisch, ganz ohne Ironie. Ob hier rein musikalisch im Sinne der Parodie des Gluckschen Pathos die Ironie im Spiel ist: auch das ist umstritten; ich meine: darüber entscheidet allein die Aufführung - und diese Aufführung meint es zurecht ernst. Auch Guglielmos hochfahrende Buffo-Arie gegen die Frauen ist Ernst: doch nur, wenn man zeigt, dass der zutiefst frustrierte Guglielmo nur seine eigenen Schuldgefühle ungefiltert projiziert. Kein Wunder, dass er, der sonst immer so präpotent aufzutreten pflegt, hier ein sehr unglückliches Bild abgibt. Freilich nicht vokal: Jason Nandor-Tomory ist ein sehr guter, beweglicher Bariton, der seine Stimme den komödiantischen und zumindest latent tragischen Situationen anpasst. Frank Unger macht den Ferrando: ein schön lyrischer, im mild Abgedämpften noch formbarer lyrischer Tenor mit dem Hang, an diesem Abend die Gefühle seiner Figur heftiger herauszusingen als nötig.

Therese Fauser ist eine deutlich artikulierende, sich mutig in den Part hineinschwingende und, wie ihre „Schwester“, grandios agierende Dorabella (die Starkblonde), deren Sopran dramatische Kapazitäten genug besitzt. Uta Simone macht, man muss das so populär ausdrücken, ihre Sache als Despina ausgesprochen gut: so ein robustes, freches, anzügliches und spielfreudiges Dienstmädchentierchen mit dem Witz eines erfahrenen, kaugummikauenden Straßenköters hört und sieht man sonst selten. Und László Varga ist ein Don Alfonso, der weniger zynisch als schadenfroh agiert; sein Bariton würde noch besser klingen, wenn die Artikulation deutlicher wäre, allein auch in den beiden unvergleichlichen Abschiedsstücken macht er im Mischklang einen guten Eindruck.

Gestützt wird das Vokale, zu dem auch der zehnköpfige Chor gehört, von der Erzgebirgischen Philharmonie Aue. GMD Naoshi Takahashi hält den wunderbar durchsichtigen Klang (die Holzbläser!) zusammen und zieht die Strippen, wenn zwischen der Bühne und dem kleinen Graben mal die Kommunikation zu wackeln beginnt, weil sich die Solisten mit aller Verve in die Geschichte schmeißen. Es verschlägt nichts, weil das, was man früher als „Ethos“ bezeichnet hätte – das Ethos dieser Aufführung – tatsächlich über alle Zweifel erhaben ist: hier entstand ein erfülltes Musiktheater, von dem sich andere Häuser eine dicke Scheibe abschneiden können. Nicht nur die älteren Damen neben mir waren begeistert; es gab tatsächlich nach jeder Nummer, sogar in den Generalpausen während der Nummern, ehrlichen Beifall.

Was aber bleibt? Auch diese Szenen: – wenn Despina eine derbe, aber sehr lustige Rektaltherapie an den „Albanern“ vornimmt.

Wenn Dorabella noch während ihrer objektiv ironischen Klagearie so eitel ist, unter dem antiken Trauerschleier ein Selfie zu knipsen - wenn die Albaner im Rahmen einer barocken Opernhausprojektion auftreten („Wir spielen immer“…) - wenn Wolkenprojektionen im von Marie-Luise Strandt entworfenen, genügend schlichten Bühnenraum erotisch-metaphysische Zustände verstärken – wenn Fiordiligi und Dorabella zu Beginn des zweiten Akts so vermummt sind wie die beiden Liebenden in René Magrittes gleichnamigem Gemälde - wenn sich die vier in einen zarten Reigen begeben.

Und wenn das Abschiedsquintett und das Terzettino mit seinen projizierten Abschiedsgesten, ja, ergreift. Am Ende werden wir sehen, wie sich die Liebenden zum wohl letzten Mal verabschieden und, das ist kein Zufall, nur Ferrando und Dorabella sich traurig und trocken zuwinken. Die Männer machen da eine böse Miene zum falschen-echten Spiel, Guglielmo brütet vor sich hin, Ferrando weiß, dass er lügt, aber man kann niemandem böse sein: das Spiel muss traurig enden, weil es echt ist.

Dass Don Alfonso und Despina spätestens hier gleichsam aussteigen und sich in die Absurdität begeben, ist logisch: da helfen nicht einmal die Plastikregenschirme, die aus den beiden das Pärchen aus Samuel Becketts Glücklichen Tagen macht. Dem Volk aber bleibt nur die miese kleine Schadenfreude, unseren Helden die große Trauer über soviel Wahrheit. Es stimmt ja: „Für ihn ist ein Grund zum Lachen, was gewöhnlich weinen macht.“ Und zum letzten Mal wird klar, dass mit diesem Text und dieser Musik so erfolgreich experimentiert werden kann wie mit den Herzen.

Starker Beifall für ein homogenes Team von spannenden Spielern und eine ungewöhnlich überzeugende Deutung des schwierigen und genialen Stücks.

Frank Piontek, 13.4. 2016

Fotos: Dirk Rückschloß – BUR-Werbung (Annaberg-Buchholz)

 

 

DER OBERSTEIGER

von Carl Zeller

Premiere 13. März 2016

Spitzenaufführung in „winzigem“ Theater

Mit der Operette „Der Obersteiger“ von Carl Zeller zog das Eduard-von-Winterstein Theater in Annaberg-Buchholz das große Los. Tobender Applaus für eine rundum gelungene Premiere. Wenn man Carl Zeller hört, denkt man eigentlich nur an sein Meisterwerk „Der Vogelhändler“. Am 5.1.1894 wurde im Theater an der Wien mit Alexander Girardi seine Operette „Der Obersteiger“ uraufgeführt und war für eine Anfangszeit bei den meistgespielten Operetten dabei. Dann verschwand sie vom Spielplan und ist in den letzten Jahrzehnten praktisch nicht mehr aufgeführt worden. Es ist dem kleinen Theater Annaberg-Buchholz und seinem rührigen Intendanten Dr. Ingolf Huhn zu verdanken, dass dieses Meisterwerk den Weg auf die Bühne zurückgefunden hat. Eine Bergmannsoperette in der Bergmannsstadt Annaberg-Buchholz, Operettenherz, was willst Du mehr.

Das Zweispartenhaus (Musiktheater und Schauspiel) hat 295 Sitzplätze und kann sich auf 150 Mitarbeiter verlassen. Im Jahr werden 5 bis 6 Neuproduktionen herausgegeben. Allein dies ist für ein so kleines Haus sensationell. Genau so sensationell ist aber auch das künstlerische Personal. So besitzt diese kleine Bühne herausragende Sängerpersönlichkeiten, für die manche große Bühne dankbar wäre. Und über allem der geschäftsführende Intendant Dr. Ingolf Huhn, der ein untrügliches Gespür für Erfolgsstücke hat und der schon manche Kostbarkeit an diesem Haus inszeniert hat. Eines seiner vielen Meisterstücke hat er hier mit dem „Obersteiger“ abgelegt, selten sah ich eine Operette wie aus einem Guss, bei der praktisch alles passte. Langanhaltender überaus verdienter Applaus für ein Zuckerstückerl in der Operettenlandschaft. Die lange Fahrt von Bamberg nach Annaberg-Buchholz lohnt sich eigentlich immer und diesmal ganz besonders und ich freue mich bereits heute auf die nächsten Aufführungen.

Die Operette spielt im Bergmannsmilieu und ist – wie manche Operette – ein bisschen verworren. Der draufgängerische Aufreißer, der Obersteiger Martin hält sich selbst für den begehrtesten Mann und ist schnell dabei, den Mädchen reihenweise den Kopf zu verdrehen. Er ist der Sprecher der Bergleute, die alle gerne mehr verdienen, dafür aber weniger arbeiten wollen. Der Fürst ist als „Lehrling“ im Milieu unterwegs und eine Comtesse, die Martin gerne möchte, die ihn aber nicht will und für die er seine Freundin Nelly einfach einmal sitzen lässt. Am Schluss der Operette finden sich aber alle Paare wieder, Martin seine kurzzeitig abwesende Nelly, der Fürst seine Comtesse und der Frieden bei den Arbeitern im Bergwerk ist auch wieder hergestellt. Operettenherz was willst Du noch mehr. Carl Zeller hat in seinen Operetten einfach das widergegeben, was er um sich herum gesehen hat, authentisch nennt man das heute.

Die Inszenierung von Dr. Ingolf Huhn ist wunderschön altmodisch und man kann sich an der Bühne und an dem was darauf passiert gar nicht sattsehen. Der „Obersteiger“ kommt so auf die Bühne und wird so inszeniert, wie er geschrieben wurde. Das ist heute leider die Ausnahme und deswegen freue ich mich immer, wenn Operette so einfühlsam behandelt wird und so ernst genommen wird, wie hier in Annaberg-Buchholz. Optisch ebenso ein wahres Meisterwerk. Die Ausstattung von Tilo Staudte ist einfach nur schön. Anfangsapplaus bei aufgehendem Vorhang ist äußerst selten. Hier erfolgt er bei der erzgebirgischen Pyramide, die den Hauptteil der Bühne einnimmt. Eine tolle Idee, schön umgesetzt und alles in warmen leuchtenden Farben sowie die Kostüme im Biedermeierstil. Die Choreographie von Sigrun Kressmann ist ausgewogen und gipfelt in vielen Auftritten des gut aufgelegten Chores, verstärkt durch die freie Chorvereinigung und das Bergmusikcorps. Der Chorleiter Uwe Hanke hat seine Mannen gut eingestellt und sie mit zu einem Höhepunkt innerhalb der Aufführung gemacht.

Die Erzgebirgische Philharmonie Aue wird von Dieter Klug einfühlsam und flott geleitet. Am Anfang noch etwas zurückhaltend, wird das Dirigat immer forscher und der musikalische Fluss immer gewaltiger und drängender, ohne jedoch die Sänger in irgendeiner Weise zuzudecken. Flott, mit einer durchgehenden Linie wird hier musiziert, es macht einfach Spaß zuzuhören.

Gesungen und gespielt wird auf höchstem Niveau. Als Obersteiger Martin setzt Frank Unger seinen schönen gepflegten, in den Höhen kräftigen und strahlenden Tenor ein. Ebenso pfiffig sein Spiel, er präsentiert mit viel Charme und teilweise auch mit einer Portion Selbstironie seine Arien und Duette und macht das berühmte „Sei nicht bös“ zu einem der vielen Höhepunkte des Premierenabends. Man merkt ihm auch die Spielfreude so richtig an und das kommt auch beim Publikum an.

Seine Nelly, die Spitzenklöpplerin wird von Madelaine Vogt gegeben. Mit wunderschönem zartem, dennoch durchschlagendem Sopran, der auch in den höchsten Tönen noch besticht und leuchtend über allem schwebt, bringt sie mehr als eine rollendeckende Gestaltung. Eine exzellente Leistung der jungen Sopranistin. Als Comtesse Fichtenau weiß Bettina Grothkopf zu überzeugen. Sie, auch eine der Stützen des kleinen Theaters, bringt mit ihrem wunderschönen lyrischen Sopran, der aber auch zu dramatischen Ausbrüchen fähig ist, das Publikum zu vielen Ovationen. Als Fürst Roderich weiß Martin Rieck mit einem kräftigen leuchtenden Tenor zu überzeugen, ebenso mit einem pointierten Spiel. Er ist als Fürst nur ein Leichtgewicht, aber mit einem vollgewichtigem Tenor ausgestattet. Als Bergdirektor Zwack bringt Leander de Marel als Spätcasanova das Publikum des Öfteren zum herzhaften Lachen, so gekonnt geht er in seiner Rolle auf, die er auch gesanglich ohne Fehl und Tadel meistert. Als seine Gattin Elfriede steht ihm Bettina Corthy-Hildebrandt zur Seite und sie singt und spielt die ganze Palette ihrer Erfahrung aus und kann als ältliche, aber beileibe nicht alte Dame mit Bravour überzeugen.

Michael Junge als Tschida, Matthias Stephan Hildebrandt als Dusel und Strobl und Juliane Roscher-Zücker als Babette ergänzen trefflich das gutaufgelegt Ensemble. Zu erwähnen ist noch der Auftritt des Bergmusikkorps „Frisch Glück“ aus Annaberg-Buchholz/Frohnau. Hier kommt die bergmännische Folklore noch einmal so richtig zum Tragen.

Heute ist ein Premierenabend, wie ich ihn – leider – nur selten erleben konnte. Hier wird die Operette ernst genommen und immer dann, kann sie zu Höchstleistungen fähig sein und sein Publikum begeistern. In dieser Inszenierung wünscht man sich, dass „Der Obersteiger“ auch an vielen anderen Bühnen in Deutschland aufgeführt wird, verdient hat er es sich allemal, es sind wunderschöne Melodien, die sofort ins Ohr gehen dabei und nicht nur das Bravourstück „Sei nicht bös“, Ich war überhaupt nicht böse, die lange Anfahrt auf mich genommen zu haben, es war für mich, wie für alle anderen Premierenbesucher ein wunderschöner Abend, an welchem man herrlich entspannen und schwelgen konnte. Und das ist ja das Schöne, was gutgemachte Operette ausmacht.

Manfred Drescher, 24.03.2016  

Fotos Eigenaufnahmen

 

 

Eine wirklich überraschende Ausgrabung

Carl Amand Mangold

TANHÄUSER

Romantische Oper; Dichtung von Eduard Duller

Vorstellung am 24.01.2015                                       (Premiere 27.04.2014)

Mittelalterliche Szenen mit Tanhäuser und dem getreuen Eckart

Das ehemalige Annaberger Stadttheater (heute Eduard-von Winterstein-Theater nach dem gleichnamigen Schauspieler) in der alten Bergbaustadt gehört zu den kleinsten unter den knapp 80 öffentlichen Opernhäusern in Deutschland. Zu überraschenden szenischen Wiederentdeckung dieser romantischen Oper sind etliche Opernfreunde, so auch Ihr Kritiker, in diesen Winkel im  westlichen Erzgebirge gereist – aus Neugierde für die Ausgrabung, aber auch für das Theater im Osten der Republik, wo man sonst häufig eher auf Operetten setzt, um Publikum anzuziehen. Aber schauen Sie ruhig von Zeit zu Zeit aufs Programm des Theater Annaberg-Buchholz; immer wieder gibt man neben Standardrepertoire  und auch Operetten erstaunliche Ausgrabungen für Opernsammler. 

Dass zwei Komponisten sehr ähnliche biographische Daten haben (Wagner: 1813 bis 1883; Carl Amand Mangold: 1813 – 1889) ist schon nicht besonders häufig, aber dass sie noch zur gleichen Zeit unabhängig das gleiche Sujet veropern, ist eine große Ausnahme. Der Darmstädter Mangold wurde in eine Musikerfamilie hineingeboren. Anders als Wagner genoss er eine sehr gründliche musikalische Ausbildung in Deutschland und Frankreich und war in die damalige musikalische Welt bestens und weitestgehend konfliktfrei vernetzt. Mangold war ein eher konventioneller Geist. Er schöpfte den Opernstoff zusammen mit seinem Librettisten Eduard Duller aus „Der getreue Eckart und der Tannhäuser“ von Ludwig Tieck (1799) anders als Wagner, der den Tannhäuser-Stoff in einer seiner eigenen Dichtung mit dem Sängerkrieg auf Wartburg verband, in deren Nähe im Hörselberg der Sänger der Sage mit der Venus im Lotterbett lag. Der Tannhäuser-Stoff war in der deutschen Romantik sehr beliebt. 1836 erschien Heinrich Heines Gedicht mit dem ironischen Ende. Wagner hatte sich zum zweiten Mal bei Heine bedient; der nahm’s gutmütig, war er doch zu der Zeit berühmter als Wagner.

Volksfest in Eisenach

Tanhäuser stand nur in Darmstadt nach der UA 1845 für einige Jahre auf dem Spielplan; einer weiteren Verbreitung standen schon damals offensichtlich die Wagnerianer entgegen. Die Oper verfiel in Vergessenheit. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahdts. wurde sie unter dem Titel „Der treue Eckart“ dort noch einmal vorgestellt; ohne Folgen, bis sie 2006 wiederum in Darmstadt noch mal ausgegraben und konzertant gegeben wurde. Die Annaberger Produktion bezieht sich das Musikalische Material dieser konzertanten Aufführung und stellt die erste Produktion der musikalischen Neuzeit dar. - Hauptpersonen der Geschichte im Tanhäuser sind der Titeleld, Innigis, Tochter von Eckhart, seinem Dienstmann und derselbe. Trotz Tanhäusers Eskapaden im Venusberg liebt sie ihn heimlich und hält ihm die Treue, auch als er nach einer Erlösungsreise zum Patriarchen Urban von Jerusalem ergebnislos zurückkehrt. Erlösung wird Tanhäuser schließlich durch eine schone rote Rosenblüte am dürren Patriarchen-Stabe angezeigt. Innigis befreit aus dem Hörselberg auch die Kinder, die Venus dort gefangen hielt, womit eine Querverbindung zum Rattenfänger von Hameln gegeben ist.

Venus und Tanhäuser im Bade

Der Intendant des Erzgebirgischen Theaters hat die Inszenierung vorgenommen. Dabei hält er sich dankenswerterweise ganz eng am Libretto, so dass sich der Zuschauer nicht mit stofffremden Deutungsversuchen konfrontiert sieht. Die Handlung des Tanhäuser verläuft ziemlich linear ohne größere Verwicklungen. Der Ausstatter Tilo Staudte stellt als Bühnenbild eine einfache Burg aus Holz auf einem Drehteller zur Verfügung. Die ist zunächst für das Volksfest in Eisenach gedacht, eröffnet aber nach Drehung den Blick auf den Sündenpfuhl im Hörselberg. Tannhäuser und Venus, letztere umgeben von einer ganzen Reihe rothaariger Miezen, fühlen sich wiederholt in einem großen dampfenden Badezuber wohl: mittelalterlicher Badekomfort statt Massagesalon. Das gemeine feiernde Volk ist in einfache ans Mittelalter erinnernde Kostüme gesteckt, Tanhäuser und sein Gefolgsmann Eckart in Rüstungen. Innigis‘ unschuldiges Wesen zeigt sich durch ihr weißes Kleid. Auf der kleinen Bühne mit Chor und Extrachor und einem kleinen Ballett, herrscht nicht viel Platz für Bewegungsregie. Urbanus, Patriarch von Jerusalem steht hoch über der Bühne in einem Turm und schleudert Tanhäuser den vertrockneten Stab entgegen. Wie an dem keine Rosen mehr erblühen können, kann auch Tanhäuser keine Begnadigung erfahren. Anders als bei Wagner wird diese Szene gespielt und nicht erzählt. Tanhäuser kehrt aber tatsächlich (wie bei Heine) zu Frau Venus zurück. Erlöst wird der in dieser Version durch die aufopfernde Liebe der Innigis. (Das ist ja gar nicht mal so weit weg von Wagner.) Und natürlich blüht die Rose dann doch auf… Diese Inszenierung ist gut anzuschauen und ermangelt nicht eiger Feinheiten und Anspielungen.

Der getreue Eckart, Venus im Bade, Tanhäuser, Innigis

Die Erzgebirgische Philharmonie Aue stellt das Opernorchester für das Theater. An diesem Abend stand es unter der Leitung von Kapellmeister und Studienleiter Karl-Friedrich Winter. Der gestaltete die handwerklich ordentliche Partitur sehr kräftig mit groben Pinselstrichen. Die Musik des vieraktigen Werks mit kaum mehr als eindreiviertel Stunden reiner Spielzeit ist gemäß dem romantischen Hauptstrom der Entstehungszeit hörnerlastig gesetzt. Nachdem die Hörner sowohl der Ouvertüre als auch nach Wiederbeginn im dritten Akt mit der Intonation zu kämpfen hatten, kamen sie im Verlauf dann jeweils gut zurecht. Was man sich indes fragen muss, ist, ob das Orchester ein unentwegtes undifferenziertes forte spielen muss. Das trifft mutatis mutandis  auch auf den klangstarken Chor zu, verstärkt durch den Extrachor. Die präzise Einstudierung hat Uwe Hanke übernommen. Tanhäuser ist eine Chor-Oper; fast ständig sind die Chöre auf der Bühne. (Landleute, Jerusalem-Pilger).

An den solistischen Qualitäten gab es nichts auszusetzen, außer, dass auch hier in dem kleinen Theater (gut 300 Plätze) dauernd gepowert wurde. Frank Unger sang die Titelpartie mit der schier unerschöpflichen Kraft seines bronzenen Tenors. Sehr wirkungsvoll mit kernig-kräftigem Bass (Bariton) gestaltete László Varga die Rolle des Eckart. Madelaine Vogt als Innigis gefiel mit ihrem strahlenden Sopran, allerdings etwas monochrom im ständigen forte. Auch Bettine Grothkopf als Venus nahm sich nicht zurück, so dass insgesamt eine etwas ermüdende Lautstärke zustande kam. Marcus Sandmann mit sonorem Bariton hatte die beiden Rollen des Sängers und des Anführers der der Wallfahrer übernommen. Etwas besser und dunkler fundiert hätte der von Jason Nandor-Tornory als Patriarch Urbanus sein können. 

Das Theater war nicht besonders gut besucht. Die Wiederaufnahme-Serie neigt sich auch ihrem Ende entgegen. Der Beifall war aber langanhaltend und herzlich. Aber ob die Ausgrabung Folgen zeitigt, muss sich erst noch zeigen. Tanhäuser kommt in Annaberg noch am 22.02. und 28.03. 

Manfred Langer, 26.01.2015                                       Fotos: Dirk Rückschloß

 

 

 

 

 

 

KISS ME, KATE

Premiere am 28.10.12

Vokalstark und sexy

Als sich im Jahre 1948 erstmals der Vorhang über dem Musical „Kiss me, Kate“ hob, ahnte keiner der Beteiligten, dass die Shakespeare-Adaption einmal die 1000er-Marke knacken würde – was nur wenigen klassischen Broadway-Musicals gelang. Das Werk gilt heute als einer der Meilenstein der Gattung Musical – und als Hauptwerk Cole Porters, der in der Zeit, als das unsterbliche Duo Rodgers & Hammerstein bereits das Musical neu erfunden hatte, seine eigene Sprache beibehielt und ein unverwechselbares Werk schuf.

Als sich im kleinen Eduard-von-Winterstein-Theater im erzgebirgischen Annaberg-Buchholz der Vorhang über der letzten Nummer, dem zweiten Finale, schloss, war der Beifall gewaltig. Er war schon vorher stark: ausnahmslos nach jeder Nummer. Um den Erfolg einer derartigen Produktion in einem 320-Stühle-Haus recht einzuschätzen, muss der Zuschauer sich erst einmal über die Bedingungen klar werden - in einem Haus, das über kein eigenes Ballett und über einen kleinen Orchester-graben, aber über ein höchst motiviertes Ensemble verfügt. Vergessen werden darf auch nicht, dass Cole Porter und das Librettistenduo Bella und Sam Spewack dreierlei in Einem fordern: gute Sänger, gewandte Schau-spieler und elegante Tänzer. Wurden der Chor extraverstärkt und die von Alexandre Tourinho choreographierten, schönen und charakteristischen Tanzeinlagen des Tanzcorps von halben Laien gestaltet („Too Darn Hot“ ist einfach klasse), so konnten die Sänger des Hauses beweisen, dass sie auch bei Shakespeare nachgeschlagen haben (wer auch immer sich hinter diesem Namen verbirgt; ich tippe, wie die intelligentere Mehrheit, auf Edward de Vere, den Earl of Oxford).

Natürlich bringt man auch in Annaberg das Stück auf deutsch, wie es dort gute Tradition ist – denn ansonsten hätte die Intendanz Schwierigkeiten, größere Zuschauermengen ins Haus zu ziehen. Es macht Spa0, dem allen zuzuschauen und zuzuhören. Erstaunlich schon die Besetzung der Lilli Vanessi (ach, denkt sich der nostalgische Kritiker, was waren das noch für Zeiten, wo man ungestraft derartige Namen verteilen konnte): Therese Fauser liefert einen fulminanten Annaberger Einstieg. Die Nürnberger haben sie vielleicht noch als Mitglied des Opernstudios in Erinnerung, wo sie als Candida in Donizettis „Emilia di Liverpool“ brillierte, auch als Isabella in der Kinderoper „Kaimakan und Papatatschi“ nach Rossinis „Italienerin in Algier“. Wie sie gegenüber ihrem Ex die liebebedürftige Diva gibt, mag so „unrealistisch“ sein wie manches bei „Shakespeare“ – das Musical beglaubigt mit seinem operettenhaften Hang zum happy end auch den größten Unsinn, wenn hervorragend singende und bewegt spielende Akteure auf der Bühne stehen.

Michael Junge spielt diesen Ex: als Rauhbein mit Herz und kräftigem Organ. Jason-Nandor Tomory ist einer der vielen Annaberger Publikumslieblinge; kein Wunder: bei dieser butterweichen, starken Stimme. Mit Kerstin Maus (als Lois Lane, nicht zu verwechseln mit Supermans Freundin) entzückt sie vokalstark und sexy das Publikum. Die beiden „clowns“ (wie es bei „Shakespeare“ gewöhnlich heißt) sind zwei Gangster, die von Leander de Marel und Matthias Stephan Hildebrandt komisch, aber nicht exaltiert gespielt werden, so das die Erinnerung an Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller – die diese Rollen im deutschen Sprachraum unsterblich machten – erst gar nicht aufkommt. Marcus Sandmann und Frank Unger spielen die drei Freier der Bianca: zwei „kleine“ Rollen, die in Annaberg gut besetzt werden können.

Wo das Experimentelle auf der kleinen Bühne, vor dem spezifischen Annaberger Publikum, in Grenzen bleiben muss, ist Fantasie gefragt – der Raum, den Francesca Ciola entworfen hat, kommt mit ein paar wenigen Elementen aus: zwei fahrbaren Garderobenspiegelrahmen, die wie große Bilderrahmen aussehen, einer Hängegarderobe und einem nach Mustern der 30er Jahre gemalten Prospekt. Die Regie hat sauber gearbeitet; die Dialoge kommen geradlinig und detailliert, die Drehbühne wird effektvoll bedient, das Publikum amüsiert sich. Wieder wird es poetisch: wenn maskierte Gestalten den Karneval des Geschlecherkampfes begleiten und ein entzückender blauer, ausgesprochen weiblicher Esel (nur das Hinterteil gehört dem Männchen) auf die Eselhaftigkeit der Liebeswelt zu verweisen scheint. So zieht die Regisseurin wieder eine zarte Ebene mehr ein in ein Spiel, das in seiner Grundform von herzhaften Brutalitäten nicht frei ist.

Das Orchester, die Erzgebirgische Philharmonie Aue, spielt unter der sicheren Leitung Dieter Klugs Cole Porters Meisterpartitur in der Fassung von Don Sebesky, die 1999 am Broadway uraufgeführt wurde; sie klingt nur ein wenig moderner als die Fassung der 50er Jahre, aber modern genug, um das Publikum am Ende jubeln zu lassen.

Über 1000 Vorstellungen werden es im Erzgebirge nicht werden – aber zu einer längeren ausverkauften Serie sollte es reichen.

Frank Piontek

 

 

LA BOHEME

Premiere am  22.01.12

Schönes aus einem „kleinen“ Haus

Das Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz, im tiefsten Erzgebirge gelegen, gehört unter den den 80 deutschen Opernhäusern nicht zu denen, die regelmäßig im Zenit der überregionalen Presse stehen. Mit seinen kaum mehr als 300 Sitzplätzen bedient es vor allem die Interessen der örtlichen Bevölkerung einer Stadt und Umgebung, die aufgrund der reichen Silbervorkommen vor 300 bis 500 Jahren ihre große Zeit hatte, als der Ort die zweitgrößte sächsische Stadt war. Heute kommen die Touristen nicht nach Annaberg, weil hier ein gut gemachtes Adam-Ries-Museum und eine Oper stehen, sondern weil die „Manufaktur der Träume“ alljährlich viele tausend Besucher aus aller Welt anlockt.

Copyright aller Produktionsbilder: Winterstein-Theater

Trotzdem ist es erstaunlich, dass an einem derartig kleinen Haus eine Oper wie „La Bohème“ nicht nur komplett, sondern auch hoch achtbar mit reinen Hauskräften besetzt werden kann. Unter Intendant Ingolf Huhn und dem Generalmusikdirektor Naoshi Takahashi hat sich hier in den letzten Jahren eine Opernkultur entwickelt, auf die man andernorts vielleicht mit Neid blicken kann – es gelingt selbst größeren Häusern nicht immer, eine „Bohème“ ohne den Einsatz von Gästen zu stemmen. Dabei fallen nicht nur die beiden Hauptrollen ins Gewicht: Frank Unger ist ein Rodolfo, dessen sauberer, sich am Abend steigernder Tenor noch Schöneres ahnen lässt.

Auch Bettina Grothkopf dürfte zu jenen Sängerinnen gehören, deren Weg einmal an größere Häuser führen wird. Wer schließlich den jungen Jason-Nandor Tomory als Marcello hört, glaubt sich in ein „bedeutendes“ Haus versetzt – und unbedeutend ist kein Haus, das mit weiteren guten Namen wie Madelaine Vogt (Musetta), Michael Junge (Schaunard) und László Varga (Colline) aufwarten kann. Kommt hinzu die Erzgebirgische Philharmonie Aue, die unter dem GMD einen lyrischen wie schneidigen Puccini heraus spielt, wie er dem schlackenlosen Drama angemessen ist.
Dem Werk angemessen ist auch die Regiearbeit Birgit Eckenwebers, die die Welt der Bohème nicht neu erfinden muss, um zu eigenständigen szenischen Ideen zu finden. Sie lässt – im Bühnenbild Wolfgang Clausnitzers – die Bohèmiens von gestern und heute in einem leicht ruinierten Einheitsraum spielen, träumen und leben.

Selbst der sonst als komische Figur strandende Alcindoro behält seine Würde als elegantes Grauhaar im Stil des alternden Marcello Mastroianni. Diese „Bohème“ ist realistisch, wo sie die Konflikte der „kleinen Leute“ mit Liebe zeichnet, aber sie besitzt auch eine poetische Ebene, die durch eine neu erfundene Figur im Kunst-Raum eingezogen wurde. Aus dem Spielzeugverkäufer Parpignol, der inmitten des zirkushaften Treibens im zweiten Akt sein Debüt hat, wurde eine unheimliche wie heimlich traurige, venezianische Maskenfigur. Sie erscheint immer wieder bei den Bohèmiens: als Wächterin an der „Schranke der Hölle“, als Sterbegleiterin, als eine Figur, die von einem Dichter namens Rodolfo hätte erfunden werden können. Starker Beifall für ein insgesamt homogenes Ensemble und eine unaffektierte, doch bildbewusste und figurengetreue Regiearbeit.

Frank Piontek


 

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