HOHENEMS
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SCHUBERTIADE HOHENEMS
Vom Feinsten
Nunmehr seit 40 Jahren trifft sich regelmäßig in Schwarzenberg und Hohenems im österreichischen Bundesland Vorarlberg eine eingeschworene Gemeinde, die sich in fast familiärer Atmosphäre an Liederabenden, Gesangs-Meisterkursen und Kammermusik vom Feinsten delektiert – und das längst nicht mehr nur an Werken von Franz Schubert. Es ist erstaunlich, dass es dem Leiter der Schubertiade Gerd Nachbauer über eine so lange Zeit hinweg immer wieder gelingt, international bekannte Sängerinnen und Sänger sowie renommierte Kammer-Ensembles zu gewinnen. Da, wo alles im Mai 1976 begann, in Hohenems, gab es jetzt neben Kammermusik-Konzerten zwei Liederabende sowie einen Meisterkurs für Liedgesang von Thomas Hampson und Wolfram Rieger.
Der erste Liederabend der beiden Protagonisten am 12.Juli war ganz dem Schaffen Hugo Wolfs gewidmet. Vertonungen von Mörike-, Goethe- und Eichendorff-Gedichten gaben den Künstlern reichlich Gelegenheit, ihr jeweils hohes künstlerisches Können zu demonstrieren. Thomas Hampson bestach nach wie vor durch nuancierte Gestaltung der kleinen „Dramen“. Seine ausgefeilte Diktion, stets kontrollierte Legato-Bögen, feinste Differenzierung von piano über mezza voce bis zum forte, sinnvolle Verwendung von messa di voce u.v.m. erlaubten ihm intensive Interpretationen der unterschiedlichen Lieder von tiefer Trauer bis zu feiner Ironie. Dabei war ihm Wolfgang Rieger kongenialer Mitgestalter und Partner, der durch sensible Vor- und Nachspiele (z.B. „Die Nacht“ und „Auf einer Wanderung“), die Hampson mimisch mit ausdeutete („Der Scholar“), sowie aufmerksamste Unterstützung des Sängers immer wieder zeigte, warum er derzeit als einer der weltbesten Klavierbegleiter gilt. Besonderes Highlight des Abends war der „Feuerreiter“, wobei Hampson sich nicht scheute, auch Sprechgesang mit einzustreuen. Für den hochverdienten, begeisterten Applaus bedankten sich die Künstler mit drei Zugaben.
Im zweiten Liederabend am 17.7. gab es Vertonungen von Loewe, Schubert und Schumann. Neben Loewe-Liedern auf Texte verschiedener Dichter standen mit sechs Liedern aus Schuberts „Schwanengesang“ und mit Schumanns „Dichterliebe“ in der selten zu hörenden, 20 Lieder umfassenden Urfassung von 1840 Heine-Gedichte im Fokus des Abends. Die vorangegangenen intensiven und anstrengenden Unterrichtstage waren an Thomas Hampson nicht spurlos vorübergegangen. So klang sein charakteristisch timbrierter Bariton nicht so frei schwingend wie von ihm gewohnt. Durch seine ausgezeichnete Technik, gepaart mit außergewöhnlicher Gestaltungskraft, gelangen ihm dennoch differenzierte Interpretationen der unterschiedlichen Lieder. Mit seinem besonders aufmerksamen Spiel hatte auch Wolfram Rieger wieder entscheidenden Anteil an dem großen Erfolg des Abends. Wie beide gemeinsam Kontraste („Ich denke dein“), Steigerungen („Am Meer“) oder schlicht Volksliedhaftes („Am leuchtenden Sommermorgen“) herausarbeiteten, das hatte wieder Weltklasse. Kaum ein anderer Sänger kann z.B. den Worten „…Leid und Weh…“ in „Wenn ich in deine Augen seh“ soviel Ausdruck verleihen oder die ein wenig ironisch anmutenden „Perlentränentröpfchen“ in „Allnächtlich im Traume“ derart locker tropfen lassen wie Hampson an diesem Abend. Mit zwei Zugaben für die frenetisch applaudierenden Zuhörer wurde die denkwürdige Sommer-Schubertiade 2016 in Hohenems abgeschlossen.
Der Meisterkurs für Liedgesang mit Thomas Hampson und Wolfram Rieger vom 13. bis 15.Juli war für Sänger mit eigenem Begleiter konzipiert. Acht Paarungen waren gekommen, von denen zwei erst kurzfristig vor Ort zusammengestellt wurden. Nach einer gesanglichen Vorstellungsrunde ging es dann an die Feinarbeit: Beide Künstler versuchten nun im Laufe der drei Tage, ihren „Schülern“ Fehler aufzuzeigen, nicht ohne sogleich Lösungsmöglichkeiten für ihre kleineren oder größeren technischen oder interpretatorischen Probleme anzubieten. Dabei wurde immer wieder betont, wie tief Klaviermusik und Text beim Liedgesang ineinandergreifen. So weigert sich Rieger beispielsweise bei einführenden Klaviertakten von „Einleitung“ zu sprechen, „denn das Lied beginnt mit dem ersten Klavierton, auch wenn der Text erst später dazukommt!“ Folgerichtig war beiden Lehrenden die geistige Vorbereitung auf jeden Beginn oder Einsatz ein besonderes Anliegen. Man konnte tatsächlich große Unterschiede erkennen zwischen einem überhasteten und beim zweiten Versuch gut vorbereiteten, durchdachten Einsatz.
Hampson lag ein gesunder, ausgeglichener Klang der jungen Stimmen besonders am Herzen. Er wurde nicht müde, immer wieder auf die aufrechte Haltung, auf eine gewissen Grundspannung – die aber nicht in Verspannung ausarten darf – und unerlässliche Kenntnis über den Resonanzraum hinzuweisen, in dem die Vokale unmerklich miteinander verschmolzen werden. „Aber auch die Konsonanten müssen gesungen werden!“ Bei der Textarbeit nahm er sich die Zeit, für die vielen verschiedenen Muttersprachen der Teilnehmer jeweils die besten Vokale zu Beginn zu suchen, die die Einzelnen dann als Basis für private weitere Studien nutzen können. Es waren SängerInnen aus Deutschland, Österreich, Kroatien, Spanien, Frankreich, Island, den USA und den Niederlanden dabei! Bei einer einzelnen Unterrichtsphase kam es dann schon häufig vor, dass ein taktweises „Durcharbeiten“ einer Legato-Phrase für Pianist und Sänger bis zu 15 Minuten dauerte; dann war aber auch immer eine neue Leichtigkeit bei den jungen Künstlern erreicht, sozusagen „befreite Klänge“. Inwieweit die Einzelnen die vielen Denkanstöße und Erläuterungen – auch allgemeiner Natur – auf Dauer umsetzen können, wird die Zukunft zeigen.
Es gibt jedenfalls genügend talentierten und begabten Nachwuchs. Davon konnte man sich in einer Liedmatinee am 16. Juli überzeugen, als sich alle Kursteilnehmer noch einmal der Öffentlichkeit vorstellten.
Die einzelne Gestaltung der Konzert-Programme der Schubertiade zeichnet sich stets durch interessante Zusammenstellungen aus. So erlebte man am 13. Juli vom noch jungen, aber sich bereits international bewährten Schumann Quartett die Bearbeitung von Schuberts „Mignon“-Liedern für Sopran und Streichquartett von Aribert Reimann, Streichquartette von Dvorak und Mozart und dessen frühe Motette „Exsultate jubilate“. Die auf dem Weg in die Weltspitze befindliche Brenda Rae deutete gemeinsam mit den Streichern verschiedene von Reimann in einen inhaltlichen Zusammenhang gestellten „Mignon“-Vertonungen intensiv und eindringlich aus. Die lyrischen Melodiebögen Schuberts lagen dem volltimbrierten Sopran der US-Amerikanerin besonders. Alle Musiker waren darauf bedacht, gemeinsamen Klang zu entwickeln. So entstand ein wunderbares Musizieren ohne Vorherrschaft der Sopranistin oder der Streicher, die sich zu Recht nicht auf reine Begleitung der Sängerin beschränkten. Im Es-Dur-Streichquartett op.51 von Antonín Dvorak entführte das technisch über jeden Zweifel erhabene Schumann Quartett in slawische Klangwelten, indem es die Dumka des zweiten Satzes und vor allem im Finale die Skoaná, einen tschechischen Springtanz, ausgesprochen temperamentvoll servierte. Nach dem aufs Feinste ausbalancierten Mozart-Streichquartett KV 590 erklang dessen frühe Motette, die Brenda Rae, vom Schumann Quartett transparent begleitet, mit intonationsreinen, weichen Koloraturen und geradezu jubelndem „Alleluja“ abschloss.
Das Streichquartett f-Moll op.95 von Ludwig van Beethoven eignet sich mit seiner wuchtigen Schicksalsschwere eigentlich nicht als Auftakt zum Oktett F-Dur von Franz Schubert mit seiner eher heiteren Grundstruktur und seinen wie in der großen C-Dur-Sinfonie „himmlischen Längen“(Robert Schumann). Aber die Programmgestalter wollten es so. Das ebenfalls noch junge französische Modigliani Quartett nahm die Herausforderung an und stellte am 15.Juli den dramatischen Gestus des düsteren Quartetts in das Zentrum seiner Interpretation. Damit kamen die vier technisch hochversierten und in ihrer Präsenz auffallend gleichwertigen Herren der Absicht Beethovens, das unerbittliche Schicksal anzuklagen, sehr nah. Allerdings kann man bezweifeln, ob es dazu der durchweg übertrieben rasanten Tempi bedurfte, die sich auch in den mehr reflektierenden Teilen des Quartetts, dem Allegretto und dem Mittelteil des dritten Satzes, nicht wesentlich beruhigten. Als störend erwies sich das vor allem in Piano-Stellen hörbare tiefe Einatmen eines der Musiker.
Nach der Pause gab es dann ganz andere Eindrücke: Zum Modigliani Quartett kamen mit Sabine Meyer (Klarinette), Dag Jensen (Fagott), Bruno Schneider (Horn) und Knut Sundquist (Kontrabass) hochkarätige Solisten hinzu, die alle Schuberts Oktett mit nie nachlassender, unverwüstlicher Spielfreude präsentierten, die das Publikum unmittelbar ansprach. Da gab es hochvirtuose Phasen für die Klarinette und den ersten Geiger, die sie mit Bravour meisterten. Im ausgedehnten Variationssatz kam jeder einmal solistisch an die Reihe, bis sich alle zum wirbeligen Finale verbanden, mit dem die Musiker Beifallsstürme des enthusiasmierten Publikums hervorriefen.
Im nachmittäglichen Kammerkonzert am 17. Juli ging es mit dem Kuss Quartett und Avi Avital (Mandoline) durch alle Epochen: Es begann in der Renaissance mit zwei Madrigalen von John Wilbye (1574-1638) und John Bennet (1575-1614), gesetzt für Streichquartett, deren aparte, zum Schluss stets versöhnlichen Harmonien das Quartett ansprechend zum Klingen brachte. Mit dem filigran musizierten Cembalo-Konzert f-Moll BWV 1056 von Johann Sebastian Bach, das der israelische Mandolinist selbst zur Begleitung durch Streichquartett arrangiert hat, war die Barockmusik an die Reihe. Die zeitgenössische Musik kam mit „Cymbeline“ von David Bruce (*1970) zu ihrem Recht. Der britische Komponist hat mit dem dreisätzigen Stück ein Werk über die Sonne geschrieben, denn das altkeltische Wort „Cymbeline“ bedeutet „Gott der Sonne“. Der „goldene Klang der Mandoline in Kombination mit der Wärme von Streichinstrumenten“ (Bruce) sollen die Sonne, den „feurigen Lebensspender“, beschreiben. Mit teilweise arabisch anmutender Melodik und fremden Harmonien, aber mit viel virtuoser, aber durchweg tonaler und effektvoller Lautmalerei wurden Sonnenauf- und -untergang sowie der Mittag beschrieben.
Nach der Pause ging es mit Schuberts c-Moll-Quartett „Der Tod und das Mädchen“ in die Romantik. Das Kuss Quartett deutete mit technischer Perfektion die oft ungemein dramatischen Stimmungen des insgesamt tieftraurigen Werks gut nachvollziehbar aus, wobei auch die meist nur kurzen tröstlichen Momente nicht ausgespart blieben. Das „todbringende“ Finale gingen die Künstler irrwitzig schnell und geradezu atemlos an, so dass zum Schluss hin eine Steigerung, die vor allem durch das Anziehen des Tempos zu erfolgen hat, nicht mehr möglich war. Für den jeweils starken Beifall hatte sich Avi Avital mit einem bulgarischen „Folk“ bedankt, das Kuss Quartett wählte zur emotionalen Erholung Schuberts Deutschen Tanz Nr.5 als Zugabe.
Marion und Gerhard Eckels, 20. Juli 2016
Fotos: Schubertiade
Weitere Liederabende/Konzerte in Hohenems im September und Oktober 2016 sowie in Schwarzenberg im August/September 2016 siehe www.schubertiade.de