EIN MASKENBALL
Premiere am 24.9.16
Es darf schon mal telefoniert werden!!!
Die Zeiten, in denen allerorts in erster Linie bei den Kulturausgaben gespart wird, sind auch am Aserbaidschanischen staatliches akademisches Opern- und Balletthaus in Baku nicht spurlos vorüber gegangen. Das Gebäude wurde zwischen 1910 und 1911 im Jugendstil erbaut und diente der gehobenen Schicht Bakus zunächst hauptsächlich für ihre Bälle, Diners und Konzerte. Im Jahr 1920 wurde es schließlich in ein staatliches Opern- und Balletthaus umgewandelt. Im Jahr 1927 wurde das Opern- und Balletthaus nach dem aserbaidschanischen Aufklärer, Schriftsteller, Philosoph und Literaturkritiker Mirzə Fətəli Axundov umbenannt und im Jahr 1959 mit einem Ehrentitel als akademisches Theater gewürdigt. Heute ist es ein Repertoirebetrieb für Oper und Ballett, dessen aktuelles Repertoire aus über 150 Oper- und Ballettvorführungen besteht (cf. https://de.wikipedia.org/wiki/Aserbaidschanisches_Staatliches_Akademisches_Opern-_und_Balletthaus).
In Baku bot man an diesem Abend lediglich eine konzertante Aufführung von Verdis Maskenball in der in Boston spielenden „amerikanischen“ Fassung, die Verdi auf Drängen der päpstlichen Zensur unter Beibehaltung von Text und Musik und Umbenennung einiger Personen, erstellt hatte, die am 17. Februar 1859 im Teatro Apollo in Rom uraufgeführt wurde. Diese Fassung wurde dem Premierenpublikum, das lediglich im Parkett und Parterre des Theaters saß, dargeboten. Andere Länder – andere Sitten. Nachdem zu Beginn keine Durchsage erfolgte, Smartphones auszuschalten, wurden die grell leuchtenden Touchscreens derselben nicht nur fleißig mit Wischbewegungen bearbeitet, sondern fallweise auch zum Führen eines Gespräches während der Opernaufführung völlig ungeniert und wie selbstverständlich verwendet! Ich musste mich schon sehr zurückhalten, um nicht durch eine spontane Überreaktion meinerseits eine vielleicht wenig angenehme Bekanntschaft mit den Vertretern der dortigen Ordnungsgewalt zu machen!
Bei mir hinterließen drei Künstler einen sehr guten Eindruck. Bei den Männern allen voran der aus Weißrussland stammende Bariton Stanislav Trifonov in der Rolle des Renato, der als einziger seinen Part aus dem Gedächtnis sang. Sein dunkel gefärbter Bariton gefiel und er verfügte auch über die, für diese Rolle so wichtige, dämonisch-böse Klangfarbe. Ganz hervorragend gelang ihm stimmlich auch die Wandlung des treu ergebenen Freundes zum gehörnten, Mordgedanken hegenden Ehegatten. Ilahә Әfәndiyeva war eine höhensichere anmutige Ameliya, die mit zahlreichen strahlenden Cs und kräftigen Brusttönen das Publikum von den Smartphones weg zu spontanem Szenenapplaus hinreißen konnte. Packend hörte sich auch Sәbinә Vahabzadә als Ulrika mit ihrem voluminösen gut geführten Mezzosopran für mich an. Inarә Babayeva als Oskar und Fәrid Әliyev als Qraf Riçard sangen bemüht, aber verfügten beide nicht über eine lupenreine Höhe. Insbesondere der aserbaidschanische Tenor Әliyev musste mehrmals stark forcieren. Zufriedenstellend wurden die kleineren Rollen von Tural Ağasiyev als Samuil, Tәlәt Hüsenov als Tom und Әliәhmәd Ibrahimov als Hakim vorgetragen.
Der junge Kapellmeister Әyyub Quliyav lenkte das Orchester des Opernhauses geschickt über alle Klippen der Partitur hinweg und fand in den sechs Bildern der Oper zu den jeweiligen, die Szene kennzeichnenden spannenden Tempi. Der Chor war recht gut einstudiert von Sevil Haciyeva. Die Premiere wurde übrigens vom aserbaidschanischen Fernsehen aufgezeichnet und könnte – erfahrungsgemäß – irgendwann einmal auch auf youtube zur Gänze verfolgt werden. Der Kartenpreis für meinen Sitz in der zweiten Reihe betrug 20 aserbaidschanische Manat, was etwa 11,16 Euro sind.
Die Künstler wurden am Ende vom Publikum gebührend mit Applaus und manchem einem Bravo-Ruf gefeiert und erhielten, wie es an manchen Opernhäusern üblich ist, von einer Angestellten des Hauses jeweils einen Blumenstrauß ausgehändigt. Nach dieser interessanten Erfahrung verließ ich gut gelaunt das Opernhaus um noch einen kleinen Imbiss in einem Restaurant in der Fußgängerzone zu mir zu nehmen.
Harald Lacina, 29.916