DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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 www.operanationaldurhin.eu/              Colmar, Théâtre municipal

 

Die meisten Produktionen der Opéra national du Rhin haben wir in Straßburg besucht und besprochen

 

 

Magische Kinderoper

LA BELLE AU BOIS DORMANT / DORNRÖSCHEN

(La bella addormentata nel bosco) ein musikalisches Märchen in drei Akten  von Ottorino Respighi (1879-1936)  

Premiere am 19.12.2014 im Théâtre municipal de Colmar (Französische Erstaufführung) 

Zauberhafte Schleier als Märchenwald; zauberhafte Farbimpressionen

Respighi wird zu den bedeutenden italienischen Komponisten für sinfonische  Musik der neueren Zeit gezählt (Römische Trilogie 1923) und wird der „generazione dell’ottanta“  zugerechnet, einer Generation von Komponisten, die um 1880 geboren sind, die sich im italienischen Musik- und Opernleben sowohl von den Veristen als auch von dem immer stärker gewordenen deutschen Einfluss abwandte.  Mit zehn Werken fürs  Musiktheater ist auch Respighis Liste seiner Werke fürs Musiktheater nicht eben kurz, aber die Opern werden so gut wie nicht gespielt. Operabase gibt für die laufende Spielzeit nur eine einzige Produktion seiner Opern an: eben die nun vom Opernstudio der Opéra national du Rhin in Straßburg erarbeitete kleine Märchenoper La Belle au bois dormant (italienischer Originaltitel: La bella addormentata nel bosco), nach dem Märchen von Charles Perrault, das die Hugenotten auch nach Deutschland mitgebracht haben und das die Gebrüder Grimm hierzulande 120 Jahre später als „Dornröschen“ eingesammelt haben. Die Oper wurde 1922 in Rom als Puppenspiel uraufgeführt und kam nun im Elsass zu seiner französischen Erstaufführung. Das Stück richtet sich an Kinder ab sechs Jahren mit ihren Eltern und erwachsene Opernsammler.

Nachtigall, Botschafter und Frosch

Vincent Monteil ist musikalischer Direktor des Opéra Studio der Opéra national du Rhin und musikalischer Berater des Hauses. Er hat das Libretto von Gian Bistolfi ins Französische übertragen und adaptiert. Im Opernstudio bereitet er junge Sänger auf ihre berufliche Karriere vor und studiert in jeder Spielzeit eine Oper ein, die mit einfachen Mitteln, aber wirkungsvoll in Szene gesetzt wird. Die Regie für diese Produktion hat die argentinische Regisseurin Valentina Carrasco übernommen, die seit dreizehn Jahren im Team der katalanischen Theatergruppe von La Fura dels Baus arbeitet. Sie kommt für das Märchen auf der Bühne mit wallenden Schleiern aus Tüll und Seide sowie mit einer starken Lichtregie (Peter von Praet) aus.  Dazu stellt ihr Carles Berga noch einige sehr ausdrucksstarke Video-Projektionen zur Vervollständigung des Bühnenbilds zur Verfügung. Die fantasievollen Kostüme hat Nidia Tusal entworfen. Die farbigen Stoffmaterialien regieren in ihrer Bewegung in wechselndem Licht ganz unterschiedlich und rufen um so magischere Farbeffekte hervor. Licht und Farben auch in Schichten variabel differenziert, und die Schleier zu den verschiedensten Formen gerafft werden. Da gibt es immer etwas zu sehen.

Ensemble

Respighi hat seiner Kinderoper faszinierende Tierfiguren hinzugefügt. Und so geht es los: Zwischen langen fahnenartigen Schleiern bewegen sich Nachtigall, Kuckuck und Frosch in einem in die Stoffbahnen projizierten Märchenwald. Da treten Herold und Botschafter des Königs auf und verkünden die lang ersehnte Geburt der Prinzessin, zu deren Taufe alle eingeladen sind. Man kennt die Geschichte: die schwarze Fee hatte man vergessen, so dass diese dem Neugeborenen bösen Zauber zufügt. Als einzige Requisiten auf der Bühne gibt es ein Notenpult und das unverzichtbare Spinngerät, an dessen Spindel sich die Prinzessin (vereinbarungsgemäß) sticht. Sie schläft in einem Bett ein, das in Respighis Version unter einem  riesigen Spinnengewebe versinkt. Ihre Eltern und andere Hofleute erstarren während des 100-jährigen Schlafs zu Figuren aus Eis. Der Winter währt lang, bis der Prinz (das Frühjahr im April) erscheint und das Dornröschen wachküsst. Womit kann man riesigen Spinnweben besser darstellen als mit weißen Schleiern? Die schwarze Fee schält sich indes aus einem bühnengroßen schwarzen Schleiertuch heraus. Deren Erscheinung ist meisterhaft und sehr eindrücklich choregraphiert. Später tritt sie als zahnlose Alte auf. Die Kinder verstehen auch leicht, dass da noch die blaue, die gute Fee mitmischt. Die Kostüme der einzelnen Personengruppen sind gut abgehoben in Tiere, Menschen und Fabelwesen. Die beigefügten Bilder sprechen für sich von dieser charmanten, duftigen Produktion.

Dornröschen, schwarze Fee

Vincent Monteil leitet den Abend musikalisch. In seinem kleinen Orchester im Graben hat er alle üblichen Instrumente eines klassischen Sinfonieorchesters zu Verfügung, die aus dem Orchestre symphonique de Strasbourg stammen, aber jedes nur einmal besetzt, dazu ein Klavier und verstärktes Schlagwerk. Impressionistisch anmutende Klänge begleiten die Tiere bei ihrem ersten Auftritt im frühlingshaften Zauberwald. Sehr passgenau und programmatisch suggestiv geht die Motivik der Musik auf das Bühnengeschehen ein. Trotz der kleinen Orchesterbesetzung klingt das (in dem nicht sehr großen Theaterraum) ziemlich dicht, und durch die relative Stärke der Bläser werden die Farbgebungen noch deutlicher. Als Modernist hat Respighi in seine Musik einen Foxtrott zum Auftritt eines Mister Dollar eingebaut. Szenisch, dramaturgisch und musikalisch bleibt dieses Einsprengsel ein Fremdkörper; manche Produktionen lassen es aus. Besser eingebunden klingt diese Tanzmusik aus den 20 er Jahren am Schluss der Oper, wenn sie noch mal aufgenommen wird. Warum sollte man am Ende eines so schönen Stücks nach einem abschließenden Liebesduett des „hohen Paares“  nicht tanzen?

Eltern, blaue Fee, Dornröschen

Für das gerade einstündige Werk waren 16 einzelne Rollen zu besetzen. Die wurden 10 verschiedenen Solisten zugeteilt, so dass die Mitglieder des Opernstudios nicht ausreichten und noch zwei ältere Kollegen eingesetzt wurden. Sie können hier nicht alle gewürdigt werden. Bis auf den Tenor Sunggoo Lee als Prinz, der mit seinen Höhen kämpfte und die französischen Vokalfarben noch nicht traf, konnten sich alle Solisten im kleinen Theater ohne zu große Kraftanstrengungen und daher mit viel Feinheit entfalten. Rocío Pérez Rodríguez  als blaue Fee mit silbrig hellem und leicht beweglichem Sopran und kaum Schärfe in der Stimme sowie Gaëlle Alix mit geschmeidigem Sopran von nuancierter Farbgebung als Prinzessin und Nachtigall (!) gefielen besonders.

Glückliches Ende

Der Beifall für dieses rundum gelungenen Musikmärchen war anhaltend und herzlich. Am 3. Januar kommt die Produktion für vier Vorstellungen in die CMD (Cité de la musique et de la danse) nach Straßburg, am 17. Januar nach Paris ins Athénée Théâtre Louis-Jouvet (dort mit eine anderen Instrumental-Ensemble) und kehrt  am 31. Januar ins Elsass nach Mülhausen ins Théâtre de la Sinne zurück. Neben den im Programm ausgeschriebenen offiziellen Aufführungsterminen gibt es noch eine Reihe geschlossener Vorstellungen für Schüler. 

Manfred Langer, 21.12.2014                                    Fotos: Alain Kaiser

 

PS   Da die sich selbst „verantwortlich“ Nennenden der Bildungspolitik den Musik-Unterricht zur Belanglosigkeit verkommen haben lassen, müssen sich in originärem Eigeninteresse die Veranstalter klassischer Musik selbst dieser Aufnahme annehmen und tun das mit immer größerem Einsatz für Oper und Konzert schon für Kinder. In Köln wurde 1996 eine eigene Kinderoper aufgebaut; es gibt heute über ein Dutzend weitere davon. Kein renommiertes Opernhaus verzichtet auf Aktivitäten für Kinder. Aber dennoch erreicht man so natürlich von vornerein nur ein selektives Publikum.

 

 

 

 

OWEN WINGRAVE

Premiere am 17.03.13

Der unheldische Held - zerdrückt von der oppressiven Sozialordnung

Benjamin Brittens Homosexualität hat in vielen seiner Bühnenwerke Spuren hinterlassen. Sein ausgeprägter Pazifismus hat sich aber erst in seinem Spätwerk Owen Wingrave so deutlich Bahn gebrochen, dass die Regisseure hier nichts mehr zu erläutern brauchen. Für Britten war es ein weiterer Stoff von Henry James, ebenfalls bekennender Antimilitarist, aus dem wiederum Myfanwy Piper das Libretto extrahierte. Bemerkenswert ist, dass der Auftrag für die Oper 1966 von der BBC erteilt wurde, in einer Zeit, in welcher noch die militaristische Jubel- und Siegerliteratur der letzten Nachkriegszeit die Auslagen des englischen Buchhandels beherrschte. Die Oper war fürs Fernsehen bestellt und konzipiert und gelangte im besten TV-Format von gut eindreiviertel Stunden 1971 zur Erstausstrahlung. Die erste Bühnenversion wurde in Covent Garden 1973 gegeben. Das Werk hat sich zunächst nicht in dem Maße wie andere Antiheldenopern von Britten durchsetzen können, steht denen aber an Eindringlichkeit und musikalischer Ausdrucksstärke in keiner Weise nach. Die Opéra national du Rhin gibt nun nach 1996 in der zweiten französischen Produktion der Oper das Werk erstmals in Frankreich in der Originalsprache.

Britten ist in der Nachkriegszeit des ersten Weltkriegs und nach dessen nachwirkenden physischen und psychischen Verwüstungen aufgewachsen und erlebte in dieser Epoche als junger Mensch die neuen Bedrohungen durch den Faschismus und dessen Militarismus. Höflich übernimmt er dennoch von Henry James die zeitliche Verortung des Geschehens ins viktorianische Zeitalter mit den noch andauernden, schwelgerischen Nachwirkungen der britischen Siege gegen Napoleon und mit dem dauernden Säbelgerassel der Hoch-Zeit des britischen Imperialismus. An diese zeitliche Zuordnung der Oper braucht sich heute kein Regisseur mehr zu halten, da angebliches Heldentum, Krieg und Not sich immer noch nicht erledigt haben. Aber die Auflehnung dagegen unter dem Motto „Wir zerbrechen das Schwert“ hat heute nichts Heldenhaftes mehr an sich – wie noch zu Zeiten des Owen Wingrave.

Laurent Deleuil (Owen Wingrave) in der Ahnengalerie der Wingraves

Neben dem vordergründigen, pazifistischen Hauptthema des Werks und der Titelrolle werden an den anderen Figuren der Oper schonungslose Charakterstudien durchgeführt, so dass die Oper nicht monothematisch erscheint. Die Handlung: Owen Wingrave, erbender Spross einer englischen Haudegen-Familie bricht seinen Unterricht an der Militärakademie ab, outet sich als Pazifist und will von den glorifizierten Heerführern seines Landes nichts mehr wissen. Statt sich auf Kampf für Größe und Ehre von Familie und Vaterland vorzubereiten, lässt er sich auf einen viel schwierigeren Konflikt ein: dem zwischen seiner Überzeugung und der Familientradition. Er kann den Kampf nicht gewinnen, wird enterbt und kommt unter dubiosen Umständen ums Leben. Der Regisseur Christophe Gayral legt die Handlung in eine unbestimmte Jetztzeit; die authentischen Kostüme (Cidalia da Costa) scheinen dabei aus dem Gestern dieser Jetztzeit zu stammen, als ob sie die Geisteshaltung ihrer Träger charakterisieren sollen.

Die Umsetzung des Fernsehstücks mit seinen schnellen Überblendungs-möglichkeiten (sprich: Szenenwechsel) auf der Bühne gelingt bruchlos, woran das Bühnenbild von Eric Soyer einen wesentlichen Anteil hat. Sechs bühnenhohe graue Pfeiler begrenzen schräg nach hinten zulaufend die Spielfläche. Zwischen den Pfeilern heruntergelassene dunkelgraue Vorhänge schaffen zwei zusätzliche Horizonte, in welche auch noch kleine Durchblicke eingelassen sind. Dazu kommt ein rascher Möbelwechsel im Halbdunkel bei offenem Hauptvorhang. Insgesamt wird so bei den  zehn Szenenbildern der Oper in schnellem Wechsel eine schöne Kohärenz erreicht.

In der Militärakademie: Sévag Tachdjian (Spencer Coyle); Laurent Deleuil (Owen Wingrave); Jérémy Duffau (Lechmere)

Einen zusätzlichen großen Bogen im Werk erreicht die Regie mit der Einführung des Fantomkinds. Im Prolog wird anstelle der Ahnengalerie der Wingraves in einer Pantomime gezeigt, wie in der Familie schon einmal in grauer Spuk-Vorzeit ein Erbberechtigter von seinem Vater zu Tode gebracht wird, weil er eine Beleidigung nicht durch ein Duell rächen wollte. Dieser Ureltervater und sein Sohn werden zu Gespenstern in der Familie; das Zimmer mit ihrem Gemälde ist nun Spukzimmer. Erst in der Ballade des zweiten Prologs wird die Geschichte dann real erzählt; der Knabe als damaliges Opfer wird dadurch zum Vor- und Doppelgänger von Owen Wingrave. Mit dieser Figur erreicht die Regie eine deutliche Vertiefung des Stoffs. Owen kommt auf einer Mutprobe rätselhaft im Spukzimmer um, ob durch eigene oder fremde Hand, bleibt im Dunkeln. Ganz sicher steht aber das Spukgespenst, das Owen am Weiterleben hindert, für die verknöcherte Familie

Bei der prägnanten Zeichnung der Figuren kommen ziemlich miese Charaktere heraus. Kate, Owens Verlobte, wendet sich angeblich wegen dessen Feigheit von ihm ab; die Abwendung wird aber erst definitiv durch die Enterbung Owens, die Kates Lebensziel, selbst später als Witwe (denn echte Helden haben zu sterben!) die Ländereien zu befehligen und ein Leben in großem Ansehen zu führen. Kates Mutter, Mrs. Julian, eine Heldenwitwe, parasitiert speichelleckerisch bei den Wingraves. An Owen selbst hat auch sie kein Interesse, lediglich an der Heirat ihrer Tochter mit ihm. Sir Philip, der senil engstirnige Clan-Chef lebt nur in der Vergangenheit und verdammt Owen als Verräter. „Miss“ Wingrave, Owens Tante bespritzt ihn mit verbalem Gift. Glimpflich kommt lediglich das Ehepaar Coyle weg. Sie kümmert sich wie eine Mutter um die Studenten, und er, der Strategielehrer, war ja auch nie ein Kriegsheld, sondern immer nur Strategie-Analytiker. Owens Freund Lechmere versucht die Gunst der Stunde zu nutzen und sich Kate zu nähern. Die Ausgrenzung von Owen Wingrave findet auch physisch auf der Bühne statt. Owen muss den härteren Kampf durchstehen – und zwar ganz allein und in Zivil. Dem Regisseur gelingt eine sehr wirksame, unter die Haut gehende Produktion.

Was für eine Familie! Owen (von hinten) allein gegen den Rest:  Sahara Sloan (Mrs. Coyle);Jérémy Duffau (Lechmere); Mélanie Moussay (Miss Wingrave); Marie Cubaynes (Kate Julian); Kristina Bitenc (Mrs. Julian); Sévag Tachdjian (Spencer Coyle); im Rollstuhl: Guillaume François (Sir Philip Wingrave)

Die musikalische Leitung des Abends hatte David Syrus inne, der über eine lange Erfahrung mit dem Werk verfügt, da er bereits musikalischer Assistent bei der szenischen Erstaufführung war. Es spielte ein Ensemble des Orchestre symphonique de Mulhouse, das aus einem 18-köpfigen Streichorchester, sieben einzeln besetzten Bläsern und Schlagwerk bestand. Vielleicht liegt es am Stoff, dass Britten bei dieser Oper zu seinen modernsten stilistischen Mittel gegriffen hat, mit mehr Dissonanzen arbeitet und die Grenzen der Tonalität erreicht. Die Bläser bewährten sich vielfach auch  solistisch im Wechsel mit den Sängern. Bis auf den instrumentalen Prolog zum ersten Akt sind die Interludien wegen der schnellen Szenenwechsel sehr knapp gehalten. Das Orchester erreichte dabei aber immer eine hohe Klangdichte – vielfach auch getragen von den tiefen Bläsern. Die Musik ist überwiegend düster, programmatisch eingefärbt. Da es keine Liebesbeziehung in der Geschichte gibt, fehlt diese Facette auch in der musikalischen Untermalung, die vom Orchester und seinem Leiter jederzeit mit ausdifferenzierten Färbungen (durch das relativ große Bläsergewicht!) und bester Präzision gestaltet wird. Als Kinderchor der Opéra national du Rhin wirken die Petits Chanteurs de Strasbourg in einer Szene als Fernchor mit.

Owen Wingraves, hinten: Fantomknabe, Gespenst

Die Besetzung der Sänger erfolgte fast ausschließlich aus den Reihen des Straßburger Opernstudios, das jedes Jahr acht junge Sänger aufnimmt, in kleinen Rollen oder als Einspringer debütieren lässt, mit ihnen aber auch regelmäßig eine Studioproduktion macht wie diese vorliegende. Eine solche Besetzung führt natürlich dazu, dass die Stimmen nicht nach Rolle und Reife ausdifferenziert werden können. Aber es war dennoch beachtliches Niveau zu hören. In der Titelrolle gefiel mit jugendlich hellem, lyrischem Bariton Laurent Deleuil; von etwas kleinerer Statur konnte er auch darstellerisch den ausgegrenzten Owen glaubhaft machen. Den Strategielehrer Spencer Coyle brachte Sévag Tachdjian solide mit kraftvollem Bassbariton, auch er hell timbriert, etwas trocken. Jérémy Duffau gab mit nicht ganz festem Tenor die kleinere Rolle des Lechmere. Als echtes Phänomen zeigte sich der Tenor Guillaume François; die Rolle des hysterischen und senilen Sir Philip Wingrave sang er passend mit spitzem giftigen Charaktertenor, wohingegen er mit sehr schönem Schmelz den Erzähler eingangs des zweiten Akts in der Ballade gestaltete, die in ihrer Wirkung noch durch die Fernchor-Refrains des Kinderchors gesteigert wurde. Der Erzähler war als Familiengeistlicher ausstaffiert. Marie Cubaynes‘ warm grundierter und schön fokussierter Mezzo schien ein Kleinigkeit zu nobel für die Rolle der unsympathischen Kate. Mit Kristina Bitenc als Mrs. Julian und Mélanie Moussay als Tante (Miss Wingrave) standen zwei klare Sopranstimmen mit leuchtenden Höhen auf der Bühne, wobei die letztere noch die interessante Facette der alten giftenden Jungfer rüberzubringen verstand. Sahara Sloan als Mrs. Coyle konnte die verständnisvolle Ehefrau des Strategielehrers mit etwas zu spitzen und gepressten Höhen nicht ganz beglaubigen.

Die nicht besonders hohe Bekanntheit der Oper hatte wohl dazu geführt, dass die Premiere bei weitem nicht ausverkauft war. Aber die gekommen waren, und das sind bei einer Sonntagsmatinee regelmäßig auch viele ältere Zuschauer, waren überzeugt, folgten dem Opernnachmittag mit großer Konzentration und spendeten langanhaltenden, herzlichen Beifall. Die Oper wird insgesamt dreimal im Stadttheater von Colmar gegeben: dort ist am 21.03. die letzte Vorstellung. Am 7., 9. und 11. April folgen in Mulhouse drei Vorstellungen im gemütlichem Ambiente des  Théâtre de la Sinne, ehe die Produktion am 4. und am 6. Juli zum Saisonausklang ins Stammhaus an der Place Broglie in Straßburg kommt. Man sollte sich diesen eindringlichen Opernabend nicht entgehen lassen.

Manfred Langer, 20.03.2013                              Fotos: Alain Kaiser

 

 

 

 

 

 

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