BERLIN LIVESTREAM
CARMEN
Oper in Zeiten des Corona-Virus
Danke RBB !!
Die Scala ist schon seit langem geschlossen, die Wiener Staatsoper nun auch, die Berliner Staatsoper Unter den Linden darf seit gestern auch kein Publikum ins ausverkaufte Haus mehr einlassen und hat, gemeinsam mit dem RBB, sofort, entschlossen und tatkräftig reagiert, indem sie die erste Vorstellung, die eigentlich ersatzlos gestrichen wurde, einem noch viel breiterem Publikum zugänglich machte, als der Saal der Lindenoper eigentlich fasst. Und so blieb denn die Rezensentin, die eigentlich im Besitz einer Eintrittskarte war, zu Hause, ersparte sich die lange Fahrt mit Bus und U-Bahn, aß stattdessen in aller Ruhe zu Abend, trank nicht nur in der Pause, sondern alle vier Akte hindurch Wein aus dem krisengeschüttelten Italien, konnte in der Pause den Hund Gassi führen und erlebte am Laptop einen Opernabend, der keine Reprise, keine Konserve war, sondern lebendiges Operntheater direkt aus der Kulturstätte in der nur die mitwirkenden Künstler zu bedauern waren, weil sie keine Szenen- und nicht einmal einen Schlussapplaus bekamen, sieht man von dem von Maestro Barenboim einmal ab. Nicht zu verachten war auch, dass man mit der Moderatorin Anja Herzog vom RBB einmal eine kompetente, uneitle und sachliche Moderatorin als Begleiterin durch den Opern-Abend erlebte.

Wiederaufgenommen worden war die zehn Jahre alte Inszenierung von Bizets Carmen durch Martin Kušej. So sparsam der in Bezug auf die in gar nichts an das sonnige Sevilla erinnernden Kulissen ist, umso freigiebiger lässt er den Tod reiche Ernte halten, denn nicht nur Carmen fällt ihm anheim, sondern auch Zuniga (Messerstich Josés), Micaela (Schuss eines Banditen) , Don José wird zu Beginn und auch noch zum Schluss, weils so schön war, vor den Erschießungspoloton geschleppt und Escamillo als blutüberströmte Leiche einmal quer über die Bühne getragen. Vielleicht hat zum Ausgleich dafür der Stier überlebt. Wie hart die Opernzeiten geworden sind, ließ sich auch daran erkennen: Wurde in der alten Carmen-Produktion der Deutschen Oper noch mit mindestens dreißig Apfelsinen vor der Stierkampfarena Fangeball gespielt, so sind es hier ganze zwei, was immer noch besser ist als das frivole Spiel mit menschlichen Organen, das inzwischen in der Bismarckstraße als „Carmen“ ausgegeben wird. Einer der wenigen glücklichen Einfälle der Regie ist es, einen roten Schal gleichermaßen zum Lockmittel Carmens wie zur Augenbinde für den zum Erschießen verurteilten Don Jose zu machen.

Drei Komponenten machten trotz aller optischen Misshelligkeiten den Abend zu einem überwältigenden: die beiden Damen Carmen und Micaela und die Staatskapelle unter Daniel Barenboim, die atmosphärisch dichte, hinreißend stimmungsvolle Vorspiele zauberten. Eine eigentlich ganz altmodische, nicht modern zickige, emanzipierte, chansonträllernde Carmen war Anita Rachvelishvili, ganz in Schwarz neben den papageibunten Gespielinnen mit Modelmaßen, quasi ein Carmen-Urgestein mit erdanaher, dunkelsamtiger Mezzostimme wie aus einem Guss, unaufgeregt, in sich und der unausweichlichen Gewissheit, die ihr das Kartenterzett vermittelte, ruhend. Wie eine altmodische Gouvernante mit blondem Dutt und strengem Tailleur, sonnenbebrillt, war Christiane Karg eine zunächst irritierende Micaela, die aber zunehmend durch ihren blonden, klaren und reinen Sopran überzeugte. Ihre Arie im dritten Akt war einer der Höhepunkte des Abends. In diesem konnte auch der Don José von Michael Fabiano trotz der Dramatik, die hier der Stimme abverlangt wird, punkten, nachdem er in der Blumenarie trotz interessanter Intentionen mit irritierendem Abgleiten ins Falsett geschockt hatte. Eine Zumutung war der Escamillo von Lucio Gallo, dem die Tiefe für die heikle Partie gänzlich fehlte, dessen Tongebung aber auch sonst eine hässlich verquollene war. Immerhin war er für Ildebrando D’Arcangelo eingesprungen. Ausgeliehen aus GNTM schienen Serena Sáenz als Mercedes und die Alyona Abramova als Frasquita zu sein und besaßen darüber hinaus frische, anmutige Stimmen. Jan Martinek hätte als optisch wie akustisch attraktiver Zuniga bessere Chancen bei Carmen verdient.

Am Sonnabend ist ab 2015 der Abend noch einmal im RBB zu erleben.
Die Staatsoper will weiter für ihre nächsten Premieren, „Idomeneo“ und „Così fan tutte“ proben und sie zum vorgesehenen Vorstellungszeitpunkt ins Internet stellen. Dem Haus und seinem Verbündeten, dem RBB, sei Dank für diese Hilfe für alle Opernbegeisterten, die schlimmen Viruszeiten unbeschadet zu überstehen.
Fotos Monika Rittershaus
13.3.2020 Ingrid Wanja