MAASTRICHT
Leonard Bernstein
A Quiet Place
Premiere: 9. November 2018 in Maastricht
Zeigt ein Theater Leonard Bernsteins selten gespielten „A Quiet Place“, so muss mich sich fragen, welche Fassung da gezeigt wird? Diese Oper entstand nämlich als Fortsetzung des 1952 uraufgeführten „Trouble in Tahiti“, in dem das problematische Eheleben von Dinah und Sam gezeigt wird. „A Quiet Place“ beginnt mit der Trauerfeier für Dinah, die bei einem Unfall gestorben ist. Im Mittelpunkt stehen Sams Reflektionen über die Beziehung und das angespannte Verhältnis zu seinen Kindern Dede und Junior. Letzterer ist nämlich homosexuell und hatte auch eine Beziehung zu Dedes Ehemann Francois.
Bei der Uraufführung, die 1983 in Houston stattfand, wurden beide Stücke nacheinander gespielt. Für die Mailänder Premiere 1984 wurde „Trouble in Tahiti“ als Rückblende in „A Quiet Place“ eingearbeitet. Schließlich erstellte Garth Edwin Sunderland auf Wunsch von Kent Nagano 2013 eine Besetzung für Kammerorchester, in der „Trouble“ gar nicht vorkommt.
Die niederländische Opera Zuid bringt jetzt die Mailänder Version in Maastricht zur Premiere. Wer auch die anderen Versionen in der laufenden Saison sehen möchte, hat dazu noch Gelegenheit, denn Aachen spielt ab Februar 2019 die Houston-Version und Lübeck zeigt einen Monat später die Kammerversion von 2013.
Die Maastrichter Premiere macht die Probleme des Stückes schnell deutlich. Die große Eröffnungsszene beginnt mit einer Trauergesellschaft aus Nebenfiguren, die im Rest der Oper überhaupt keine Rolle mehr spielt. Die „Trouble in Tahiti“-Rückblenden sind emotional und musikalisch viel stärker als „A Quiet Place“. Zudem wirkt das Happy-End nach all den Depressionen und Trauer zu aufgesetzt. Auch bietet diese Oper keine Interpretationsmöglichkeiten, die über die Familienkonflikte hinausgehen, wodurch das Stück sehr eindimensional wirkt.
Da die Opera Zuid mit dieser Inszenierung in zehn niederländischen Theater und auch in Luxemburg (20. November) gastiert, hat Ausstatterin Madeleine Boyd ein Haus mit Ruinenelementen als Einheitsbühnenbild entworfen. Die Beschädigungen kann man natürlich gleich auf die Familie, die hier gezeigt wird, übertragen. In ihren Kostümen bleibt Boyd für „Trouble“ in den 50er Jahren, während die Haupthandlung in die Gegenwart geholt wird. Regisseurin Orpha Phelan strukturiert die Handlung übersichtlich und verortet die zentralen Ereignisse meist in der Mitte der Bühne. Die Figuren sind klar gezeichnet. Eine Interpretation, die über die Konflikte der Hautpersonen hinausgeht, bietet sie aber nicht.
Auf der Bühne erlebt man eine weitgehend treffende Besetzung der Partien: Sehr apart singt Truriya Haudenhuyse die Dinah in den „Trouble“-Szenen. Ihre emotionalen Arien, in denen sie über ihre Suche nach Glück nachdenkt, sind sehr emotionale Momente. Mit frischem Bariton interpretiert Sebastià Peris i Marco den jungen Sam als kernigen Typen, während der alte Sam von Huub Claessens darstellerisch mehr Profil erhält als sängerisch.
Lisa Mostin präsentiert die Dede mit ihrem klaren Sopran anfangs als redseliges Plappermaul und präsentiert später aber auch die tieferen Schichten der Figur. Enrico Casari singt den Francois mit wohlklingendem Tenor. Michael Wilmering kann mit seinem kräftigen Bariton besonders nach der Pause Juniors Zerrissenheit darstellen. Höchst beachtlich ist das Dirigat von Karel Deseure, denn auch wenn sich dieses Konversationsstück sehr leichtgewichtig vorbeirauscht, so ist die Partitur rhythmisch sehr komplex. Die Philharmonie Zuidnederland musiziert das Stück punktgenau und kann besonders in den orchestralen Zwischenspielen auftrumpfen. Auch sorgt der Dirigent dafür, dass sich Sänger und Musiker in den verschiedenen Stilepochen aus Bernsteins Schaffen sicher zurechtfinden.
Auf der einen Seite bietet diese Produktion die Möglichkeit, ein kaum gespieltes Werk von Leonard Bernstein kennenzulernen, das dann aber mit Klassikern wie „On the Town“ oder „Candide“ nicht mithalten kann. Deshalb darf man gespannt sein, wie die Auseinandersetzungen mit dieser Oper in Aachen und Lübeck ausfallen.
Rudolf Hermes 12.11.2018
Bilder (c) Opera Zuid