DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
Dies ist das OPERNFREUND-Archiv
Alle neuen Kritiken erscheinen ab sofort auf unserer neuen Website
Startseite
Unser Team
Impressum/Copyright
---
Alle Premieren 22/23
Kontrapunkt
Die OF-Schnuppe :-(
Der OF-Stern * :-)
OF Filmseite
Silberscheiben
CDs DVDs
OF-Bücherecke
Oper DVDs Vergleich
Musical
Genderschwachsinn
Oper im TV
Nachruf R.i.P.
Et Cetera
-----
Aachen
Aarhus
Abu Dhabi
Bad Aibling
Altenburg Thüringen
Altenburg Österreich
Amsterdam DNO
Amsterdam Th. Carré
Amst. Concertgebouw
Andechs
Annaberg Buchholz
Ansbach
Antwerpen
Arnheim
Aschaffenburg
Athen
Athen Onassis Cultur
Augsburg
Avignon
Bad Hersfeld
Bad Ischl
Bad Kissingen
Bad Lauchstädt
Bad Reichenhall
Bad Staffelstein
Baden bei Wien
Baden-Baden
Badenweiler
Baku
Bamberg
Barcelona
Basel Musiktheater
Basel Sprechtheater
Basel Ballett
Bayreuth Festspiele
Bayreuth Markgräfl.
Pionteks Bayreuth
Belogradchik
Bergamo
Berlin Livestreams
Berlin Deutsche Oper
Berlin DO WA
Berlin Staatsoper
Berlin Staatsoper WA
Berlin Kom. Oper
Berlin Kom. Oper WA
Berlin Neuköllner Op
Berlin Konzerte
Berlin Sonstiges
Berlin Ballett
Bern
Bern Sprechtheater
Biel
Bielefeld
Bochum Ruhrtriennale
Bochum Konzerte
Bochum Sonstiges
Bologna
Bonn
Ära Weise 2003-2013
Bonn Sonstiges
Bordeaux
Bozen
Brasilien
Bratislava
Braunschweig
Braunschweig Konzert
Braunschweig openair
Bregenz Festspiele
Bregenz Sonstiges
Bremen
Bremen Musikfest
Bremerhaven
Breslau
Briosco
Britz Sommeroper
Brixen
Brühl
Brünn Janacek Theate
Brünn Mahen -Theater
Brüssel
Brüssel Sonstige
Budapest
Budap. Erkel Theater
Budapest Sonstiges
Buenos Aires
Bukarest
Burgsteinfurt
Bytom Katovice
Caen
Cagliari
Casciana
Chemnitz
Chicago Lyric Opera
Chicago CIBC Theatre
Coburg
Coburg Joh. Strauss
Coesfeld
Colmar
La Coruna
Cottbus
Crevoladossola
Daegu Südkorea
Darmstadt
Dehnberg
Den Haag
Dessau
Dessau Weill Fest
Detmold
Dijon
Döbeln
Dornach
Dortmund Ballett
Dortm. Konzerthaus
Dortmund Sonstiges
Dresden Semperoper
Dresden Operette
Dresden Sonstiges
Dresden Konzert
Duisburg
Duisburg Sonstiges
MusicalhausMarientor
Düsseldorf Oper
Rheinoper Ballett
Düsseldorf Tonhalle
Düsseldorf Sonstiges
Schumann Hochschule
Ebenthal
Eggenfelden
Ehrenbreitstein
Eisenach
Ekaterinburg
Enschede
Erfurt
Erl
Erlangen
Essen Aalto Oper
Essen Aalto Ballett
Essen Aalto WA
Essen Phil 2
Essen Phil 1
Essen Folkwang
Essen Sonstiges
Eutin
Fano
Fermo
Flensburg
Florenz
Frankfurt
Frankfurt WA
Bockenheimer Depot
Frankfurt Sonstiges
Frankfurt Alte Oper
Frankfurt Oder
Freiberg
Freiburg
Füssen
Fürth
Fulda
Sankt Gallen
Gelsenkirchen MiR
Genova
MiR Ballett
Genf
Gent
Gera
Gießen
Glyndebourne
Görlitz
Göteborg
Gohrisch
Gotha Ekhof-Festsp.
Graz
Graz Styriarte
Graz Konzerte NEU
Graz Sonstiges
Gstaad
Gütersloh
Hagen
Halberstadt
Halle
Halle Händelfestsp.
Hamburg StOp
Hamburg StOp Wa
Hamburg Konzert
Hamburg Sonstige
Hamm
Hanau Congress Park
Hannover
Hannover Sonstiges
Heidelberg
Heidenheim Festsp.
Heilbronn
Heldritt
Helgoland
Helsinki
Hildesheim TfN
Hof
Hohenems
Gut Immling
Ingolstadt
Innsbruck Landesth.
Innsbruck Festwochen
Jekaterinburg
Jennersdorf
Kaiserslautern
Karlsruhe
Karlsruhe Händel
Opera Europa Bericht
Kassel
Kawasaki (Japan)
Kiel
Kiew
Klagenfurt
Klosterneuburg
Koblenz
Köln OperStaatenhaus
Wa Oper Köln
Köln Konzerte
Köln Musical Dome
Köln Sonstiges
Konstanz Kammeroper
Kopenhagen
Kosice
Krummau a.d. Moldau
Krefeld
Krefelder Star Wars
Kriebstein
Landshut
Langenlois
Bad Lauchstädt
Lech
Leipzig Oper
Leipzig Mus. Komödie
Leipzig Ballett
Leipzig Konzert
Leipzig Sonstiges
Lemberg (Ukraine)
Leoben
Leverkusen
Lille
Linz/Donau
Linz Sonstiges
Ljubljana/Laibach
Loeben
London ENO
London ROH
London Holland Park
Lucca
Ludwigshafen
Luisenburg
Lübeck
Lübeck Konzerte
Lübecker Sommer
Lüneburg
Lüttich/Liège
Liege Philharmonie
Luxemburg
Luzern
Luzern Sprechtheater
Luzern Sonstiges
Lyon
Maastricht
Macerata
Madrid
Magdeburg
Mahon (Menorca)
Mailand
Mainz
Malmö
Malta
Mannheim
Mannheim WA
Mannheim Konzert
Maribor/Marburg
Marseille
Martina Franca
Massa Marittima
Meiningen
Melbourne
Meran
Metz
Minden
Mikulov
Minsk
Miskolc
Modena
Mönchengladbach
Mörbisch
Monte Carlo
Montevideo
Montpellier
Montréal
Moritzburg
Moskau Bolschoi N St
Moskau Sonstige
München NT
München Cuvilliés
MünchenPrinzregenten
München Gärtnerplatz
München Ballett
München Sonstige
Münster
Münster Konzerte
Muscat (Oman)
Nancy
Nantes
Neapel
Neapel Sonstiges
Neuburger Kammeroper
Neuburg/Donau
Neustrelitz
Neuss RLT
New York MET
Nizhny Novgorod
Nordhausen
Novara
Nürnberg
Nürnberg Konzerte
Oberammergau
Oberhausen
Odense Dänemark
Oesede
Oldenburg
Ölbronn
Oesede (Kloster)
OperKlosterNeuburg
Oslo
Osnabrück
Ostrau
Palermo
Palma de Mallorca
Paraguay
Paris Bastille
Paris Comique
Paris Garnier
P. Champs-Elysées
Théâtre du Châtelet
Paris Ballett
Paris Philharmonie
Paris Versailles
Paris Sonstiges
Paris Streaming
Parma
Passau
Pesaro
Pfäffikon
Piacenza
Pisa
Pforzheim
Plauen
Posen
Potsdam
Prag Staatsoper
Prag Nationaltheater
Prag Ständetheater
Radebeul
Raiding
Rathen Felsenbühne
Recklinghausen
Regensburg
Reggio Emila
Reichenau
Remscheid
Rendsburg
Rheinsberg
Rheinberg
Riga
Riehen
Rosenheim
Rouen
Rudolstadt
Ruhrtriennale
Saarbrücken
Saint Etienne
Salzburg Festspiele
Salzburg LT
Salzburg Osterfestsp
Salzburg Sonstiges
San Francisco
San Marino
Sankt Margarethen
Sankt Petersburg
Sarzana
Sassari
Savonlinna
Oper Schenkenberg
Schloss Greinberg
Schwarzenberg
Schweinfurt
Schwerin
Schwetzingen
Sevilla
Singapur
Sofia
Solingen
Spielberg
Spoleto
Staatz
Stockholm
Stralsund
Straßburg
Stuttgart
Stuttgart Ballett
Sydney
Szeged (Ungarn)
Tampere (Finnland)
Tecklenburg
Tel Aviv
Teneriffa
Toggenburg
Tokyo
Toulon
Toulouse
Tours
Trapani
Trier
Triest
Tulln
Turin
Ulm
Utting
Valencia
Valle d´Itria
Venedig Malibran
Venedig La Fenice
Verona Arena
teatro filarmonico
Versailles
Waidhofen
Weimar
Wels
Wernigeröder Festsp.
Wexford
Wien Staatsoper
Wien TadW
Wien Volksoper
Wien Kammeroper
Wien Konzerte
Wien Ballett
Wien Sonstiges
Wiesbaden
Wiesbaden Wa
Wiesbaden Konzert
Bad Wildbad
Winterthur
Wolfenbüttel
Wolfsburg
Wunsiedel
Wuppertal
Würzburg
Zürich
Zürich WA
Zürich Ballett
Zürich Konzert
Zwickau
---
INTERVIEWS A - F
INTERVIEWS G - K
INTERVIEWS L - P
INTERVIEWS Q - Y
---
DIVERSITA:
YOUTUBE Schatzkiste
HUMOR & Musikerwitze
Opernschlaf
Facebook
Havergal Brian
Korngold
Verbrannte Noten
Walter Felsenstein
Unbekannte Oper
Nationalhymnen
Unsere Nationalhymne
Essays diverse
P. Bilsing Diverse
Bil´s Memoiren
Bilsing in Gefahr

Opernhaus Malmö

 

Stream aus der Malmö Opera:

Zum 2.)

FALSTAFF

07.11.2020
 


Falstaff (Misha Kiria) vor der Fernsehkamera ( Fotograf: Jonas Persson )

 

In Wien haben wir nur eine vage Erinnerung an Regisseurin Lotte de Beer  – sie hat im Theater an der Wien den Bizet’schen „Perlenfischern“ den Rahmen einer Filmproduktion verpasst, die in Ceylon irgendwas Exotisches auf die Leinwand bannt. Das war so aufregend nicht, denn Geschichten „im Rahmen“ zu erzählen, ist absolut nicht neu – im Gegenteil, derzeit so häufig, dass schon fast abgegriffen. Mittlerweile wurde die Holländerin zur designierten Direktorin der Volksoper ernannt und ist für uns schlagartig interessant geworden.

Jedenfalls nahm man solcherart gern das Angebot der Oper Malmö wahr, den Stream der „Falstaff“-Premiere anzusehen – wobei Lotte de Beer wieder einmal nichts für das Original übrig hat und ihre Idee, eine Oper durch heutige Fernseh-(Medien)welten zu betrachten, wiederholt. Aber wenn uns allen in den letzten Tagen die Köpfe mit den amerikanischen Nachrichten über die Präsidentschaftswahlen gerauscht haben, ist es ein witziges und aktuelles Zitat, Falstaff und seine Diener in ein Fernsehstudio zu versetzen, wobei im Hintergrund (ohne Video geht es nicht) illustrierende Filme laufen (die zeigen dann auch etwa Mrs. Ford am Herd, ganz im Stil amerikanischer TV-Betulichkeit). Dazu kommen wahnwitzige Kamera-Einstellungen (die Kameras sind wieder, wie in den „Perlenfischern“, auf der Bühne). Und im Hintergrund stapeln sich die Bilder, dass man nicht weiß, wo man zuerst hinschauen muss…

Aber schnell wird es zu viel des Guten oder mittlerweile weniger Guten, wenn jede  Echtheit aufgehoben ist, man etwa die vier Damen nur am Bildschirm sieht, nebenbei die Computer eingeblendet bekommt, auf die Falstaff offenbar dasselbe Mail versendet hat… Gut sehen die Damen in der verzerrten Version, oft in Schockfarben getaucht, übrigens nicht aus. Da werden die „lustigen Weiber“, die oft so reizvoll waren, zu hässlichen Grimassen. Schade drum.

Und wenn dann die jungen Leute dran kommen, dann fragt man sich, ob Lotte de Beer nicht die Verhässlichung unserer Welt durch die sozialen Medien inszeniert? Nanetta und Fenton sind junge Leute von heute, die sich wie Idioten auf You Tube gebärden, Selfies schießen, schnell WhatsApp absetzen, und der blond gefärbte Asiate, der die Kamera küsst, bis seine Lippen einen fast fressen… ungustiös, oder? Davon gibt es reichlich noch mehr. Und Abstruses auch, wenn die Diener sich in Smileys verwandeln…

Wie alle Aufführungen, in denen es nicht um Menschen und ihre Geschichten geht, sondern um Regieideen, nützen diese sich schnell durch Einförmigkeit ab. Das Ersticken der Szene in Bildern macht die Sache auf die Dauer ermüdend, noch und noch schaufelt die Regisseurin ironische Versatzstücke des täglichen Lebens herbei (die Ausstattung von Christof Hetzer leistet Bemerkenswertes). Dazu kommt, dass der Humor mit so viel Unsinn und immer wieder Ungustlhaftigkeit (dieses Wort sei jetzt einmal erfunden) versetzt ist, dass einem das Lachen vergeht. Und wer „Falstaff“ an sich liebt – der wird vieles vermissen und vieles gar nicht erkennen… Vor allem, weil es so unspezifisch ist – diese Show könnte man mit jeder beliebigen Oper abziehen, die Aussage würde sich nur auf die Regie, nie aufs Werk beziehen.

Was die Sänger betrifft, die im Lauf des Geschehens wenigstens mehr „live“ auf die Bühne dürfen und nicht nur als ihr verzerrtes Abbild, so kommt der Titelheld am besten davon. Der georgische Bariton Misha Kiria ist uns noch nicht über den Weg gelaufen, hat aber in den letzten Jahren den Falstaff schon erfolgreich in Parma und Madrid gesungen, und man kennt ihn wohl auch in der Deutschen Oper Berlin schon ziemlich gut (wo er demnächst auch den Falstaff vor hat – hoffentlich in einer „normalen“ Version). Ob der gestriegelte Fernseh-Politiker mit der blonden Trump-Frisur wirklich etwas mit dem guten Sir John zu tun hat? Aber Kiria hat einen prachtvollen, großen und substanzreichen Bariton, der ihn zusammen mit einer eindrucksvollen Erscheinung (kein Wunder, dass er in Amsterdam für Ambrogio Maestri einspringen durfte) in den Mittelpunkt des Geschehens katapuliert und den Verdacht erweckt, dass man noch viel von ihm hören wird.

Jacquelyn Wagner, die auch Richard Wagner kann (und im Theater an der Wien eine vorzügliche Euryanthe war), muss sich – in Jeans, Frau von heute – mit Falstaff auf ein seltsames Spiel einlassen, in dem sie als Puppenattrappe erscheint, und lässt aufgeregte, dramatische Töne hören. Wenn Sänger solcherart zu „Puppen“ der Regie werden, sind ihre genuinen Leistungen schwer zu beurteilen.

Das gilt dann auch für die Kunstfiguren, für Alexandra Flood (Nanetta) mit den leichten Tönen für die Rolle und den schönstimmigen Sehoon Moon (Fenton), Maria Streijffert (Mrs. Quickly) und Matilda Paulsson (Meg Page), Jonas Duran (Bardolfo), Nils Gustén (Pistola), Niklas Björling Rygert (Dr. Cajus).

Bemerkenswert ist das Tempo und die Verve, mit denen der Dirigent Steven Sloane den Abend buchstäblich „jagt“, womit er dem Strom der Bilder entspricht, der hier entfesselt wird. Keine Frage, dass es Leute geben wird, die diese selbstverliebte Inszenierung witzig finden. Es gibt zweifellos auch solche, die sagen: Was soll der Blödsinn? Ob man sich nach diesem Beispiel für den Geschmack der Lotte de Beer so unbedingt auf ihr Erscheinen in der Volksoper freut, sei dahingestellt.

 

Renate Wagner, 23.11.2020

 

 

 

7. November 2020                         

Verdis „Falstaff“ tappt in die Digitale Welt

Lotte de Beer inszenierte in Malmö

wir waren per Livestream dabei

Während im Rest Europas die Opernhäuser regelrecht erstarrt sind, konnten im Opernhaus des schwedischen Malmö fünfzig Besucher die Premiere einer Lotte-de-Beer-Inszenierung von Guiseppe Verdis Falstaff erleben. Uns blieb vergönnt, diese Premiere als Livestream des Hauses zu erleben.

Dem Vernehmen nach, war auch bei der Erarbeitung der Inszenierung nicht alles glatt gegangen: der Versuch, dass „Shakespeares Falstaff in George Orwells Farm der Tiere gelangt“ ließ sich trotz intensiver Bemühung nicht schlüssig umsetzen. So musste die niederländische Regisseurin mit dem Österreicher Bühnen- und Kostümbildner innerhalb zweier Monate ein völlig neues Konzept auf die Bühne bringen. Wo aber liegt das Problem?

Der schlitzohrige, plumpe, grobe und dicke Säufer und Weiberheld in Shakespeares Drama „Heinrich der IV. Teil 1“ nannte sich ursprünglich Sir Oldcastle, was dem Dramatiker eine Auseinandersetzung mit einem späteren Verwandten der historischen Persönlichkeit (1378-1417) brachte. Der nun „Sir John Falstaff“ benannte, taucht in vier Stücken Shakespeares auf: den beiden Heinrich IV.-Historien (1596/97), den „Lustigen Weibern von Windsor“ sowie in Heinrich V. (1599), da allerdings nur sterbend und in der Erinnerung seiner einstigen Kumpanen.

Um seine Aufgaben als Ritter scherte er sich kaum. Vor allem trinkend und den Frauen nachstellend, ist er weder ein Held, noch ein Antiheld und keine tragische Figur in seiner derben Komik. Mit seiner scheinbaren Funktionslosigkeit ist Falstaff nach Hamlet die meistkommentierte Figur der Shakespeare-Stücke. Fast ebenbürtig steht der übergewichtige, trunksüchtige, Rauf- und Weiberheld neben Hamlet, einer Figur, die wie kaum eine andere in der Literaturgeschichte den zweifelnden, verzweifelnden modernen Menschen repräsentiert.

Nachdem sich bereits Carl Ditters von Dittersdorf 1796, Antonio Saleri 1799, Michael William Balfe 1838, Otto Nikolai 1849 und Adolphe Adam 1856 am Falstaff-Stoff mit unterschiedlichem Erfolg versucht hatten, wollte Guiseppe Verdi sich mit einem heiteren Alterswerk an Shakespeares Vorlagen versuchen. Sein Librettist Arrigo Boito orientierte sich ebenfalls an „The Merry Wives of Windsor“, schnitt Teile der Handlung ab und schränkte die Anzahl der Charaktere des Spiels. Vor allem gab er mit der Einfügung von Passagen aus „Heinrich IV.“ dem Charakter Falstaffs mehr Tiefe und Substanz. Aber auch Anklänge an Boccaccios Dekameron“ und Fiorentinos „Il Pecerone“ sind im Libretto zu finden. Wichtig blieb für die Erarbeitung des Librettos, dass im Verlauf der Oper dem Charakter Falstaffs, seiner Selbstzufriedenheit und erhabenen Selbstgefälligkeit, kein Schaden zugefügt werden dürfe. Das gilt natürlich auch für die Inszenierungen des Alterswerkes Verdis:

Lotte de Beer stößt den Ritter trotzdem erbarmungslos in ein Fernsehstudio unserer Welt der zunehmenden Digitalisierung und entwickelt aus diesem Ansatz feinstes Regietheater.

Zunächst gelang es Falstaff, den modernen Rechtsstaat für seine Zwecke zu nutzen, muss aber, ob der gefallenen Börsenkurse akzeptieren, dass er pleite ist. Seine gleichlautenden Nachrichten an die Damen Alice Ford und Meg Page wurden natürlich per Mail expediert. Die Verabredung zu den Racheakten erfolgte (fast) zeitgemäß per Telefon, denn das Smartphone spielte bei den Anspielungen auf die moderne Kommunikation keine Rolle. Mag das an der Handy-Affinität der Protagonisten liegen? Für mich wäre das eine wunderbare Gelegenheit gewesen, auf die zerstörende Wirkung der mobilen Möglichkeiten unserer Tage auf den persönlichen Umgang anzuspielen.

Fenton surft am Laptop und es entwickelte sich, nach dem Intermezzo im Büro des Falstaff, ein Feuerwerk von Regieeinfällen der Lotte de Beer und des Bühnen- und Kostümbildners Christof Hetzer. Da wurden die Möglichkeiten moderner Videotechnik auf das Verschwenderischste genutzt. Da wurde mit Grünwand-Einsatz, Überblendungen, der Einbeziehung der Kameratechnik in die Szene, sowie grüngekleidete Requisiten reichende Helfer und vieles mehr, bei einer hervorragenden Personalführung von Gail Skrela Hetzer, geboten. Fast muss man sich entscheiden, ob man der Musik oder den Bühnenaktionen folgen mochte. Man konnte durchaus lachen, aber wenn man in der Pause über das erlebte nicht nachdachte, wäre etwas falsch gewesen.

Dagegen kommt der lyrisch-bezaubernd angelegte dritte Akt konventioneller, geordneter daher und könnte den konservativen Opernbesucher fast versöhnen, wobei die Handlung allerdings hart an der Diskriminierung der Minderheit „Falstaff“ schrammt.

Die Musikalische Leitung des deutsch-amerikanischen Dirigenten musste sich zwangsläufig auf das Bühnengeschehen, die Sängerbegleitung konzentrieren, stellte dabei eine perfekte Verbindung zum recht beeindruckenden Orchester her. Dabei scheute er nicht gelegentliches Krachen und Scharwenzeln des Orchesterklangs zuzulassen, aber ohne dass gelegentlich Musiker hervorblitzten.

Der Falstaff des georgischen Bariton Misha Kiria war für mich eine Entdeckung. Mit seiner schwerelos strömenden wundervollen Stimme und seiner Körperfülle vermochte er die Bühnenfigur als komplexen rücksichtslosen, glücklosen prolligen Zeitgenossen darzustellen. Ein Komödiant, der die Szene zu beherrschen wusste.

Bei derartiger massiver Bühnenpräsenz half nur ein Damen-Trio, das durchaus die Hosen anhat, aber auch weibliche Schwäche zeigen kann. Die in Berlin lebende Amerikanerin Jaquelyn Wagner sang mit in der Höhe klarem und elegantem Sopran die Alice Ford. Dabei zeigte sie auch ihre Freude an komödiantischer Darstellung. Sanft und flink kam die vom Libretto etwas benachteiligte Meg Page der Schwedin Mathilda Paulsson mit ihrem schönen etwas hohen Mezzosopran daher. Die Altistin Maria Streijffert komplettierte die intrigante Damenriege mit einer beeindruckend virtuos gesungenen und präsent gespielten Frau Quickly.

Sein Debüt am Hause gab der türkische Bariton Orhan Yildiz als Ford. Besonders mit seinem fast rasend vorgetragenem Monolog im zweiten Akt wusste er zu beeindrucken. Das Dienerpaar Bardolfo und Pistola, verkörpert von dem heimischen Tenor Jonas Duran und dem Bass Nils Gustén, komplettierte erfrischend Szene und Klangbild. Das grandiose Ensemble ergänzte wundervoll aufgeregt der Schwede Niklas Björling Rygert mit seinem eleganten Tenor.

Einen darstellerisch-virtuosen Volltreffer landete das junge Liebespaar. Die aus Australien nach Malmö gekommene Alexandra Floot vermittelte mit jugendlich leichter zart ausschwingender Stimme und engagiertem Spiel ihre schwer umkämpfte Liebe, aber auch ihre Freude an den Intrigen. Ihr zur Seite konnte der Koreaner Schoon Moon mit anmutsvoll- kraftvollem Tenor das Paar ergänzen.

Ein nur kleiner Chor rundete das Klangbild aus dem Hintergrund ab.

Der naturgemäß magere Beifall der fünfzig Besucher konnte der schlüssigen Inszenierung und prachtvollen Aufführung nicht gerecht werden. Bleibt zu hoffen, dass in der „Nach-Corona-Zeit“ sich eine Gelegenheit zum Malmö-Besuch ergibt.

 

Autoren der Bilder: Operngebäude Malmö: Werner Nystrand

 

Falstaff-Szenen: Jonas Persson

 

Thomas Thielemann 10.11.2020

DER OPERNFREUND  | opera@e.mail.de