Seebühne Kriebstein

Eine Nacht in Venedig
Premiere: 17.06.2018
besuchte Vorstellung: 14.07.2018
Venedig in Mittelsachsen
Lieber Opernfreund-Freund,
auf dem See der Kriebsteintalsperre in Mittelsachsen, im Zentrum eines Dreiecks gelegen, das Leipzig, Dresden und Chemnitz bilden, gibt es seit 2007 eine Freilichtbühne, die unter anderem vom mittelsächsischen Theater bespielt wird, das dort alljährlich mit einer üppigen Produktion sein Spielzeitfinale zelebriert. In diesem Jahr haben die Zuschauer gleich doppelt Glück: zum einen lässt ja Petrus seit Wochen kaum ein Wölkchen die Himmel hierzulade trüben – und zum andern ist dem Team des Theaters eine wahrlich spritzige und unterhaltsame Umsetzung von „Eine Nacht in Venedig“ gelungen.

Entstauben wollte Tausendsassa Sergio Raonic Lukovic das Werk von Johann Strauß, um es ins 21. Jahrhundert zu holen und es auch einem jüngeren Publikum zugänglich machen. Das ist dem Kroaten, der seit der Spielzeit 2007/08 am hiesigen Theater als Bassbariton engagiert ist und bereits kleinere Produktionen am Haus inszeniert hat, gelungen. Mit eigenen, zum Teil recht unzweideutigen, fast derben und dennoch passenden Texten, holt er das Werk ins Hier und Heute, zeigt Venedig als Touristenmagnet und führt eine weibliche Senatorin ein. Auch ist die Frau des Senators Delacqua kein junges Ding, das den alten Gemahl mit einem jugendlichen Liebhaber betrügt, sondern eine reife Dame, einst mehrfache Miss Venedig und noch immer voller Schönheit und Präsenz (wie ihre wundervolle Darstellerin Rita Zaworka), die sich einen wesentlich jüngeren Galan (herzerfrischend: Matthias Wagner als Touristenführer Enrico) gönnt. Die Talsperre als Kulisse ist wie gemacht dafür, Venedig nach Sachsen zu holen. Da fahren echte und falsche Gondeln umher, die hinreißende Bühne von Tilo Staudte bietet den passenden Rahmen mit zwei kleinen Inseln, die mit der Hauptbühne über venezianisch Brücken verbunden sind, und die mit allerlei originellen Requisiten ausgestatteten Sängerinnen und Sänger wurden von Nina Reichmann in prächtige und farbenreiche Kostüme gesteckt. Natürlich ist ein Maskenball grundsätzlich eine Spielwiese, auf der sich Ausstatter vorzüglich tummeln können – aber nicht nur die Karnevalskostüme sind äußerst gelungen. Lukovics Inszenierung zeichnet sich durch eine abwechslungsreiche Personenführung aus, gekonnt spielt er mit Haupt- und Nebenbühne und dem See als Spielfläche. Lediglich die letzten zwanzig Minuten verkommen zum Wimmelbild – ein eindeutiger Fall von „zu viel los“. Doch das ist Jammern auf hohem Niveau, Lucovic hat die Feuertaufe auf großer Bühne bestanden.

Gesanglich gibt es ebenso nur am Rande ein wenig zu mäkeln. Frank Unger versucht seine Spitzentöne als Herzog im ersten Akt noch allzu pavarottihaft und hat damit wenig Erfolg, dabei verfügt er doch über einen geschmeidigen Tenor voller Schmelz. In der zweiten Hälfte des Abends, just nachdem er seine körperliche Fitness mit einarmigen Liegestützen hat präsentieren dürfen, stemmt er auch die vokalen Höhen eindrucksvoll – ob da ein Zusammenhang besteht? Durchweg beeindruckt hat mich Derek Rue als Caramello, der nicht nur das berühmte „Komm in die Gondel, mein Liebchen“ scheinbar mühelos meistert, obwohl ihn Lukovic dabei stehend eine Gondel steuern lässt, sondern den ganzen Abend über mit stimmlicher Raffinesse, zahlreichen Nuancen und viel Gefühl glänzt. Darin steht ihm seine Bühnenpartnerin Leonora del Rio als Annina in nichts nach. Die Sopranistin mit argentinischen Wurzeln überzeugt mit Stimmschönheit, wundervollen Farben und feinen Höhen und ist überdies eine ebenso vor Spielfreude überschäumende Künstlerin wie ihre Kollegin Susanne Engelhardt, die als Ciboletta zeigt, was für ein hervorragendes Gespür für Witz und Timing sie besitzt. Frank Ernst ist ein Pappacoda, wie er im Buche steht. Starke stimmliche Präsenz zeichnen den Charaktertenor ebenso aus wie sein Talent als Komödiant.
Die Mittelsächsische Philharmonie ist unter Arkaden platziert und entspinnt unter der Leitung von GMD Raoul Grüneis pure Operettenseligkeit über den See, über dem es im Laufe der Aufführung passenderweise Nacht geworden ist. Die Spielfreude des Ensembles und der Musikerinnen und Musiker ist ebenso ansteckend wie die schwingenden Beine der Tänzerinnen und Tänzer, deren Auftritte Sigrun Kressmann mit tollen Choreographien versehen hat, so dass nicht wenige Besucherinnen und Besucher nach gut zweieinviertel Stunden im perfekten Walzerglück schwelgend und „Komm in die Gondel“ summend vom sächsischen Venedig in Richtung Heimweg tänzeln und sich schon auf Paul Linckes „Frau Luna“ im kommenden Jahr freuen.
Ihr Jochen Rüth / 15.07.2018
Fotos (c) seebühne.de /André Braun.