AIDA
Besuchte Vorstellungen am 5. und 6. Juli 2022
Premiere am 25. Juni 2022 auf dem Burgplatz
Eindrucksvoll
Nach wie vor sind die sommerlichen Open-Air-Veranstaltungen des Staatstheaters im historischen Ambiente des Braunschweiger Burgplatzes ein Publikumsmagnet, so auch in diesem Jahr mit Giuseppes Verdis „Aida“, der Oper zwischen Massen-Szenen und Kammerspiel. Zu Zeiten, in denen in Europa ein schrecklicher Krieg tobt, ist diese Oper, in der sich die tragische Liebesgeschichte von Aida und Radames ebenfalls vor dem Hintergrund eines Krieges ereignet, eine gewaltige Herausforderung. Die serbische Regisseurin Adriana Altaras und ihr Team haben sie mit einer insgesamt eindrucksvollen Inszenierung gemeistert. Das Bühnenbild von Christoph Schubiger zeigt sogleich, dass immer irgendwo Krieg herrscht, der die Zivilisation hart getroffen hat: Im Sand verrotten Waschmaschine, Radio und Kinder-Fahrrad, Soldaten lungern auf dem Mosaik-Boden vor dem Burglöwen herum. Über diesem ist ein riesiger, rostiger Wasserbehälter installiert, aus dem während der „Weihe“ des Radames Wasser fließt. Dass sich die Geschichte nach dem Libretto während kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Ägypten und Äthiopien abspielt, ließ sich nur an typischen alt-ägyptischen Wandmalereien im Hintergrund erkennen. Die eher zeitlose Kleidung der uniformierten Mächtigen, der Soldateska und der weiß gewandeten Priestern (Kostüme: Yashi), die ständige, nervige Nutzung von Handys während des Triumphmarsches und dass der Bote ein Pressefotograf (mit kraftvollem Tenor Matthew Peña) war, machten deutlich, dass kein bestimmter Staat der Gegenwart gemeint war. Dazu passte, dass der Triumphmarsch keine wie sonst übliche große Siegesparade war, sondern die Regisseurin stieg jetzt laut Programmheft „sozusagen aus der Handlung aus und zeigte Zitate der weltweiten Kolonialismusgeschichte anhand von Raubgut“. So wurden neben Goldbarren und goldenem Tafelgeschirr auch ein Gemälde von Franz Marc und verschleppte Indigene gezeigt; damit nicht genug, auch ein SS-Mann führte mehrere verängstigte Jüdinnen vor und ein blutendes Vergewaltigungsopfer musste sich zeigen. Warum die Gefangenen neben Amonasro ausschließlich Frauen waren, hat sich nicht erschlossen. All dies zeugte von schier unerschöpflichem Ideenreichtum der Regie, die es im Ganzen mit viel zu viel Aktionismus übertrieb – Momente des Besinnens gab es kaum. Manches blieb geradezu rätselhaft; aber es gab auch durchaus Einsichtiges wie beispielweise das kleine Mädchen, das Huckekasten und Ball spielte, als sich Aida im 3. Akt an ihre Heimat erinnerte. Aber über vieles andere kann man sicher streiten, wie z. B. die acht Kindersoldaten, die in der 2. Szene mit Spielzeug-Gewehren und -Pistolen zu den „Guerra! Guerra!“-Rufen ins Publikum schossen und dann leblos herumlagen, das wie ein Brautpaar gekleidete Kinderpaar, das in der Nil-Szene Amneris zum Gebet in den Isis-Tempel folgte, oder auch die Verdopplung des Radames als Jugendlicher während Amneris‘ Versuch, ihn zum Geständnis zu bewegen. Zum Libretto passte ebenfalls nicht, dass Amneris am Schluss Selbstmord beging. Sei’s drum – überzeugend waren die gut nachvollziehbare Personenführung und die glaubhafte Gestaltung aller Mitwirkenden.
Andere Aida/Orhan Yildiz/Rainer Mesecke/Giorgi Kirof/anderer Radames
Am 5. Juli erlebte man ein darstellerisch und stimmlich ausgeglichenes Ensemble, allen voran Alessandra Di Giorgio als Aida der Extraklasse. Bei der Italienerin imponierte die gleichmäßige Führung ihres ausdrucksstarken Soprans durch alle Lagen, wobei sie besonders mit wunderbaren Piani, aber auch mit einer stupenden Höhensicherheit punktete, ohne jemals scharf zu klingen. Ihr Radames war aus dem Braunschweiger Ensemble Kwonsoo Jeon, der sich in den letzten Jahren erstaunlich entwickelt hat, indem er jetzt ohne unnötiges Forcieren auskam, um tenoralen Glanz zu verbreiten. Darstellerisch gefiel er durch die Wandlung vom unbekümmerten, naiven jungen Mann zum ernsthaft Liebenden. Nora Sourouzian gab die eifersüchtige Amneris; die starke Szene mit Aida im 2. Akt war ein weiteres Beispiel für die ausgezeichnete Personenregie und die Darstellungskraft der Protagonistinnen. Stimmlich wartete die Kanadierin mit einem dunkel timbrierten, durchschlagskräftigen Mezzo auf, dessen Tremolo die Stimmführung zeitweise zu unruhig werden ließ. Der profunde Bass vom Bulgaren Giorgi Kirof passte gut zum Strippenzieher der Handlung Ramphis, dem Anführer der Priester.
Andere Amneris/Kwonsoo Jeon
Am 6. Juli füllte Jisang Ryu aus dem Braunschweiger Ensemble den Ramphis mit sonorem Bass und differenzierter Gestaltung aus. Bis vor zwei Jahren war Ivi Karnezi ebenfalls am Staatstheater engagiert. Die in Norwegen aufgewachsene Griechin wusste durch lebhafte, zeitweise geradezu anrührende Darstellung der äthiopischen Königstochter zu überzeugen; in der Führung ihres abgerundeten, charaktervollen Soprans hatte sie allerdings einige Unsicherheiten in der Höhe, was sich in Intonationsmängeln zeigte. In Aidas großer Arie zu Beginn der Nil-Szene ließ sie daraufhin das gefürchtete hohe C sicherheitshalber weg. Der Radames von Thomas Paul war von Anfang an eher ein gestandener Mann als ein naiver Bursche, der auf militärische Erfolge aus ist. Der österreichische Sänger ließ einen klaren, höhensicheren Tenor hören, der die dramatischen Phasen überzeugender rüberbrachte als die lyrischen, dabei teilweise mit überkommenem Operngestus. Amneris war Almerija Delic aus dem Nürnberger Opernensemble, die die eifersüchtige Königstochter ausgesprochen temperamentvoll gestaltete. Mit reibungslosen Registerwechseln führte die Bosnierin ihren hellen Mezzosopran sicher durch alle Lagen und begeisterte durch ihr effektvolles Singen.
Kwonsoo Jeon/andere Aida
Mit vollem darstellerischen Einsatz und seinem prächtigen, farbenreichen Bariton, der sich inzwischen weiter ins dramatische Fach entwickelt hat, gefiel in beiden Vorstellungen der frühere Braunschweiger Orhan Yildiz als Amonasro. Ein sicherer König, der außer Repräsentationspflichten offensichtlich nichts zu entscheiden hatte, war ebenfalls an beiden Abenden mit markantem Bass Rainer Mesecke. Jeweils klarstimmig sangen Ekaterina Kudryavtseva (5.7.) und Jelena Banković (6.7.) die Priesterin. Chor und Extrachor waren von Georg Menskes und Johanna Motter einstudiert und verbreiteten passend großen, wegen teilweise ungünstiger Postierung nicht durchweg einheitlichen Klang – ein Extra-Lob für den Herrenchor für den intonationsreinen A-Cappella-Priesterchor in der Tempelszene.
Die musikalische Leitung hatte jeweils der Braunschweiger Studienleiter und Kapellmeister Alexis Agrafiotis, dessen zurückhaltendes, eher auf große Gesten verzichtendes Dirigat es wohl auch zu „verdanken“ war, dass es am 5. Juli einige Male zu „Wacklern“ zwischen den Solisten und dem wieder ausgezeichneten Staatsorchester kam. Anders war das am 6. Juli – da klang alles wie aus einem Guss.
An beiden Abenden gab es begeisterten, lang anhaltenden Applaus des begeisterten Publikums für alle Mitwirkenden.
Fotos: © Martin Walz
Gerhard Eckels 7. Juli 2022