DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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 Latvijas Nacionala OPERA

 

http://www.opera.lv/en/

 

 

 

DER RING DES NIBELUNGEN

04.-09.06.13

 

Seit 1998 findet nun jährlich das von der Lettischen Nationaloper Riga (LNO) gegründete Opernfestival Riga statt. Richard Wagner kam im August 1837 als erst 24 jähriger Kapellmeister in die damals russische Metropole Riga an das städtische deutsche Theater. Aber schon 1839 verließ er auf Grund von Schulden und Querelen mit dem Theaterdirektor fluchtartig die Stadt auf dem Seeweg nach London. Aus seinen Rigaer Lehrjahren aber nahm Wagner frühe Skizzen zu Rienzi sowie Anregungen zu seinem Plan eines Festspielhauses in Bayreuth und zu seinem Fliegenden Holländer mit.

Seit 2006 wurde das Projekt einer szenischen Aufführung der Tetralogie in Angriff genommen. Ähnlich wie in Stuttgart sollte jeder Teil von einem anderen Regisseur in Szene gesetzt werden. Begonnen wurde 2006 mit dem Rheingold in einer Inszenierung von Stefan Herheim mit seinem bewährten Team (davon noch später), das noch mit dem Bergen-Festival koproduziert worden war.

Danach wurde der ursprüngliche Plan aber verworfen und so überantwortete man den Rest der Tetralogie dem lettischen Regisseur Viestur Kairišs. 2007 folgte die Walküre, 2008 Siegfried und 2011 komplettierte die Götterdämmerung schließlich den Rigaer Ring. 

Fotos: mit freundlicher Genehmigung der Latvijas Nacionala Opera

 

 

GÖTTERDÄMMERUNG

(Dievu mijkrēslis)

09.06.13

Ähnlich wie der private Konflikt im Hause Hunding in der Inszenierung des Letten Viesturs Kairišs an die Öffentlichkeit gezerrt wird, verhält es sich mit der privaten Sphäre im Siegfried, die mit einem Male in der Götterdämmerung öffentlich und global wird. Der Regisseur wird auf dieser Zeitreise, wie schon im Siegfried, von Ausstatterin Ieve Jurjāne und  Lichtdesigner Christophe Forey begleitet.

Im Vorspiel befinden wir uns noch in einer Blockhütte im Woodstock des Jahres 1969. Die Nornen knüpfen an einer Art Lichterkette, während sie sich für das happening des Festes Runen aufmalen. Das lenkt natürlich vom Knüpfen der seilartigen Lichterkette  dermaßen ab, dass es zu einem Kurzschluss kommen muss. Jetzt sieht man nichts mehr, also ab zu Mama Erda, bevor es zum Fest geht… Und jetzt wird es erst richtig schrill und trashig! Wir sind in der flower power Bewegung von Woodstock angelangt. Brünnhilde (die ja schon einige Jahre mit Siegfried glücklich vereint gelebt hat) wurde zum Hippie mit Stirnband und bemalt ein Tuch mit dem Motto der 60ger: „Make love, not war“. Und Siegfried mutierte äußerlich zum Rockbarden Joe Cocker, den es in die weite Welt zieht. Brünnhilde verabschiedet ihn zärtlich, sie kann sich ja jederzeit zur Zerstreuung einen Joint drehen…

Von den vielen Joints im Hirn bereits etwas zu gedröhnt, wird Held Siegfried ein leichter Spielball der dekadenten Gibichungen, die sich zu Dritt in einem übergroßen Bett amüsieren. Der 60iger Jahre Look spiegelt sich auch an den kunststoffgetäfelten Wänden mit Hirschgeweihen wider, schließlich zählt ja die Jagd zur Lieblingsbeschäftigung der Halbbrüder. Gruppensex, ein Schlagwort der roaring 60ties, die noch nichts von HIV wussten, Inzest und zärtliche Halbbrüderliebe gehören schon mal dazu. Wer sollte es schon am Hofe Gunthers wagen, gestreng den Zeigefinger zu erheben? Und man wartet begierig auf Siegfried und blickt gespannt ins Publikum. Dieser springt aber von hinten durch ein Bild des Rheins, das über dem geräumigen Doppelbett hängt, samt einem Schreinerkasten in die Szene.

Als Gunther und Siegfried einander Blutsbrüderschaft schwören, stößt der wehleidige und vollkommen verweichlichte Gunther einen lauten „Au-Schrei“ aus, der natürlich nicht in der Partitur steht. Aber was soll‘s, Wagner hätte sicher seine Freude daran gehabt, sein opus magnum so lebendig und kraftvoll gestaltet zu sehen. Auf tritt nun Waltraute, die gleich ein Holzscheit aus Walhalla mit sich bringt. Vergeblich beschwört sie Brünnhilde, ihr den Ring der Rheintöchter auszuhändigen. Diese dreht sich vorsorglich einen nervenberuhigenden Joint und noch einen für die quengelnde Schwester, die solche irdischen Laster in der Abgeschiedenheit der Götterwelt gar nicht kennt. Neugierig macht sie einige Züge, die ihre Wirkung nicht verfehlen… Danach erscheint Siegfried in einer futuristisch silbernen Kleidung, geradewegs aus dem „Krieg der Sterne“ entnommen. Für seinen Auftritt zwängt er sich durch das Innere eines alten Schwarz-weiß Fernsehapparates, besiegt Brünnhilde und steckt sich ihren Ring wieder zurück an seinen Finger.

Eine Annäherung an die großen altgriechischen Tragödienheroinen findet Regisseur Kairišs dann im zweiten Akt. Zunächst schärft der an eine Infusion gefesselte greise Alberich seinem Sohn Hagen ein, den Ring für ihn zu gewinnen. Allein Hagen hat andere Pläne… Die Mannenszene erhält durch Tierschädel eine tragische Note, während sie zugleich durch das Heeranstürmen ans vorbereitete Büffet wieder ins Komische gleitet. Von dieser Ambivalenz lebt auch ein großer Teil dieser Inszenierung, indem die Grenze zwischen Tragödie und Komödie nicht nur zu verschwimmen droht, sondern geradezu durchbrochen und bisweilen sogar völlig aufgehoben erscheint. Die Verzweiflung Brünnhildes, nachdem Siegfried sie nicht erkennt, ist grenzenlos. ("Die lebhafteste Liebe verwandelt sich nach getäuschter Hoffnung brennenden Hass".  Auf beiden Gefühlsebenen ist die reisige Maid aber bereit, bis ans Äußerste zu gehen. Siegfrieds Tod, für Hagen bereits  beschlossene Sache, wird nun auch zu ihrem einzigen Ziel.

Im dritten Akt befindet sich die ausgelassene Männergesellschaft in einem etwas ramponierten Dampfbad, in dem alle Wasserleitungen verstopft sind. Die drei Rheintöchter fristen hier (wohl zur Strafe, weil sie das Gold so schlecht bewacht hatten) ein tristes Dasein als Badewärterinnen. Siegfried kann mit seinen Klempnerutensilien wenigstens die Wasserhähne wieder reparieren. Den Ring würde der zugekiffte Hallodri ihnen aber nur gegen fleischliche Liebe geben, von der seine erst kurz zuvor angetraute Gattin Gutrune ja nichts wissen muss… Auf einen solchen Handel aber gehen die ehrbaren Töchter nicht ein.

Nach dem Schwitzbad gibt es Grillwürstchen auf einem Spieß, die Hagen zubereitet, während Siegfried in seinen Erinnerungen schwelgt… Nicht vergessen soll dabei werden, dass Gunther sich schon mal umständlich auf Grund seiner Leibesfülle umzieht. Süß ist so ein rosafarbenes Nackedei anzusehen und dem Sänger Marcus Jupither muss großer Respekt gezollt werden, sich vor völliger Entblößung nicht zu scheuen. Der Würstchenspieß aber landet in Siegfrieds Rücken. Ein herbei eilender stummer alter Mann, wohl der greise Großvater Wotan, hält ihm einen Spiegel vor, um kopfschüttelnd dessen Tod zu konstatieren. Siegfried überlegt es sich aber anders, sammelt noch einmal seine Kräfte um mit den letzten Worten scheidend festzustellen: „Süßes Vergehen – seliges Grauen: Brünnhild‘ bietet mir – Gruß!“

Der Trauermarsch leitet zum wuchtigen Finale über. Wotans Raben treten während der Orchesterzwischenspiele in menschlicher Gestalt als junges Mädchen mit einer Glühbirne in der Hand und als Rad fahrender Knabe auf. Kränze und Bilder werden um den Leichnam des hehrsten Helden ausgebreitet. Brünnhilde tötet sich mit Siegfrieds Schwert und legt sich als Mannesgemahl an seine Seite. Die Rheintöchter ergreifen noch rasch den Ring und flüchten, während die Mannen Hagen, den gewissenlosen Machtpolitiker und Manipulator, unter Geschrei erschlagen. Der von Aigars Meri verdienstvoll einstudierte Chor der Lettischen Nationaloper trug mit seinen kräftigen Stimmen bei großer Transparenz maßgeblich am Erfolg dieses Abends bei. 

Besonders interessant ist, dass Cornelius Meister im Prolog, dem Vorspiel und dem ersten Akt das Lettische Nationale Sinfonieorchester (Latvijas Nacionālais simfoniskais orkestris) und im zweiten und dritten Akt dann das Lettische Nationale Opernorchester (Latvijas Nacionālās operas orkestris) dirigierte. Meist werden ja nur manche Musiker ausgewechselt, aber gleich einen kompletten Orchesterwechsel, das ist etwas Einzigartiges. Jedenfalls war dieser Abend von der musikalischen Seite der dichteste und beste. Da wählte der junge Kapellmeister die passenden tempi und setzte die erforderlichen dynamischen Akzente beim Trauermarsch und dem Finale, die unter seiner umsichtigen Leitung zu regelrechten sinfonischen Höhepunkten gerieten.

Auch auf die Sänger nahm der  Dirigent sehr viel Rücksicht. Die drei Nornen wurden prägnant in der Tongebung und bester Diktion von  Liubov Sokolova, Aira Rūrāne und Liene Kinča gesungen. Die Russin Liubov Sokolova trat dann noch im Vorspiel als Waltraute mit fülliger Stimme in Joint Ekstase angenehm in Erscheinung. Die beiden jungen Lettinnen Aira Rūrāne und Kristīne Zadovska ergänzten dann noch rollengerecht und stimmlich einwandfrei als Rheintöchter Wellgunde und Floßhilde mit ihrem gut geführten Sopran bzw. Mezzosopran.

Katrin Gerstenberger konnte an ihre gute Leistung in der Walküre leider nicht anschließen. Sie begann einst als Mezzosopran. Ihr bereits im Jahre 2002 vollzogener Wechsel zum dramatischen Sopran konnte an diesem Abend nicht so Recht nachvollzogen werden. Zu grell und schrill war ihre Höhe und zu scharf ihre Spitzentöne. Man könnte aber auch der Meinung sein, dass ihre Stimme infolge des Treuebruchs Siegfrieds einfach aus allen Fugen geriet und sie zu einer regelrechten Furie wie Fricka wurde. Ein hysterisches Kreischen wäre  an dieser Stelle wohl nicht von der Hand zu weisen, mag es auch vom Bayreuther Meister „versehentlich“ nicht mitkomponiert worden sein… Der schwedischen Tenor Lars Clevemann, Bayreuther Tannhäuser, wiederum verfügt zwar über eine kräftige höhensichere Stimme, was aber fehlt, ist ein ansprechendes schönes Timbre. Dafür punktet er aber  darstellerisch als Rockbarde Joe Cocker.

Ein Bariton mit passendem lyrischem Timbre war Marcus Jupither in der Gestalt König Gunthers gegeben. Geschickt versteht er es, seine stattliche Leibesfülle auf witzige Weise in das tragisch-komische Rollenprofil einflechten. Er hat jedenfalls die Lacher stets auf seiner Seite, ob beim Gruppensex oder in, besser gesagt, außerhalb der Dampfkammer.  Den besten stimmlichen Eindruck hinterließ wieder einmal der schwedische Bass Johan Schinkler. Ein Hüne eines Mannes, der seine Umgebung geschickt manipuliert.  Liene Kinča  trat neben der dritten Norn noch als Badefrau Woglinde und als flatterhafte Gutrune, die billig auf den unerhörten Reichtum Siegfrieds pocht, auf. Ihr jugendlich dramatischer Sopran setzte dabei schöne Akzente. Nur in der Höhe wurde er fallweise etwas scharf. Der Schwede Kosma Ranuer gab den zum Invaliden gewordenen und an einer Infusionsflasche hängenden Alberich mit eindringlichem Bariton. Erwähnt muss noch der Choreograph Agris Daņiļēvičs werden, der bereits im Siegfried den Drachenleib herrlich in Szene gesetzt hatte und dem die ausgezeichnete Bewegungsregie der Mannen anvertraut wurde.

Der lettische Ring, der seinesgleichen in Europa sucht, ging mit der Götterdämmerung würdevoll zu Ende. Er hatte zwar nur zwei, nicht vier, wie ursprünglich vorgesehen, Regisseure. Die einzelnen Teile wurden jedoch als selbstständige Werke aufgefasst und in Szene gesetzt. Keiner der Teile erwuchs damit organisch aus dem vorhergehenden. Schließlich liegen ja auf viele Jahre zwischen den einzelnen Teilen, in denen sowohl räumliche als auch zeitliche Konstellationen dem ewigen Fluss von Werden und Vergehen unterworfen sind. Dem Publikum hat es jedenfalls gefallen. Ein Ring, bei dem man sich beim aller intellektuellen Herausforderung endlich einmal auch richtig auslachen durfte. Und Lachen ist ja bekanntlich die beste Medizin, wenn man bei Wagner gewöhnlich schon so lange sitzen muss!                                                                     

Harald Lacina

 

 

 

SIEGFRIED

(Zīgfrīds)

– 7.6.13

Den zweiten Abend der Tetralogie gestaltete Regisseur Viesturs Kairišs gemeinsam mit der lettischen Ausstatterin Ieve Jurjāne. Siegfried fungiert als Bindeglied zwischen der Walküre und der Götterdämmerung ähnlich wie das Satyrspiel in der antiken attischen Tetralogie. Und obwohl auch im Siegfried gemordet wird, überwiegen doch die komischen Elemente bei weitem. Es ist jene gesunde Mischung an menschlicher wie göttlicher Komödie, die sich – bei aller Tragik - vor den Augen und Ohren des Betrachters entfaltet.

Mime, der weltweise kleinbürgerliche Intellektuelle hat sich mit seinen Schellacks und Büchern in das Souterrain einer wohnzimmerartigen Schmiede zurück gezogen. Dort zieht er einen leibhaftigen Satansbraten namens Siegfried zu dem einzigen Zweck auf, durch ihn an Fafners Ring zu gelangen, um selbst „Master of the universe“ zu werden. Und der ungestüme Range Siegfried springt gleich mit einem übergezogenen Bärenfell von der Estrade auf das Bett hinab. So was nervt schon und Mime überlegt krampfhaft, wie man sich des unliebsamen Störenfrieds und Maulhelden bestimmt und endgültig entledigen kann…

In seiner beschaulichen Ruhe wird er aber erneut gestört. Diesmal durch Gottvater Wotan, der als Wanderer, sozusagen inkognito, die Welt durchschreitet. Natürlich hat dieser Mimes Ränke als einäugiger und somit folglich „wissender“, aber nicht „allwissender“, Gott durchschaut. Wotan ist wieder einmal nach einem Spiel zu Mute und so setzt er sein Haupt in der Wissenswette zum Pfand. Nur widerwillig lässt sich Mime auf dieses Spiel ein. Längst schon hat er den Wanderer als Wotan erkannt und will ihn möglichst rasch los werden. Durch Nachschlagen in einem Lexikon überzeugt sich der Zwerg gewissenhaft, ob Wotans Antworten auch zutreffen. Der Ausgang ist bekannt. Mime verliert 2:3.

Jetzt gilt es aber dem furchtlosen Balg Siegfried den Teufel einmal so richtig durch Beelzebub, sprich Fafner in Gestalt eines Drachen, auszutreiben. Auch das misslingt und so zieht Mime mit seinem Zögling aus, damit dieser das Fürchten noch lernt…

Ähnlich der Stadt Riga, die im Verlauf ihrer Geschichte immer wieder von fremden Mächten überrollt und vereinnahmt wurde, und auch heute noch Spuren der Zerstörung aufweist, liegt Fafners Höhle in einem solchen endzeitlichen Ambiente, in dem sich Leichen stapeln und Bomben geschlichtet in Regalen befinden. Der getötete Mime wird gleich zu diesen Toten im Keller dazu gelegt. Genial ist dann die Idee des Regisseurs, die reglosen Leichen plötzlich zu einem sich bewegenden Drachenleib mit einer Vielzahl von Köpfen auf der breiten Stiege in der Bühnenmitte zusammen zu schließen. Und wenn Siegfried diesen mehrköpfigen Drachen tötet, dann ist es eigentlich ein Massenmord…

Und nachdem unser tölpelhafter Siegfried durch den Genuss von Fafners Blut ein wenig klüger geworden ist, packt er noch rasch den Tarnhelm zu seinem Kopfpolster in den Reiserucksack, steckt Alberichs Ring an den Finger und stürmt dem Waldvogel nach, um endlich das Fürchten zu lernen…

 

Sein Großvater Wotan hat in der Zwischenzeit Erda in einem mit Restmüll und moderndem Laub angehäuften und schon vor langer Zeit still gelegten Schwimmbecken bemüht, seinen geistigen Horizont zu erweitern. Er tritt in der Uniform eines Söldners, der überall daheim ist, aber nirgends sein zu Hause finden kann, auf. Aber die allwissende Urwala kann und will ihm nicht helfen, verweist ihn nur an Brünnhilde, und verschwindet durch eine Öffnung im Gemäuer. So fläzt er sich beleidigt, das Ende der Götter herbei sehnend, in einen ausgedienten Fauteuil, um seinen Enkel zu erwarten. Der von pubertären Kräften nur so strotzende Enkel schubst jedoch Opa Wotan von seiner Sitzgelegenheit, zerspellt dessen durch zahllosen Verrat an Verträgen bereits morsch gewordenen Speer und findet endlich die von Laub bedeckte Tante Brünnhilde.

Siegfrieds Erkenntnis: „Das ist kein Mann“ sagt eigentlich alles über sein geistiges Niveau aus! Was man nicht kennt, so erinnert er sich dunkel aus seinen Kindheitstagen, muss man erst einmal richtig betasten und beschnuppern. Eine ehemals gestandene Anführerin lärmender Walküren aber lässt sich so etwas nicht gleich gefallen. Schließlich muss sie ja nach ihrem Dornröschenschlaf erst einmal für Ordnung sorgen und das herum liegende Laub zusammen rächen. Irgendwann ist aber auch Brünnhildes Widerstand gebrochen. Zwar hält sie ihrem Neffen noch das Schwert entgegen, keinen Zweifel offen lassend, wer hier in Zukunft das Sagen haben wird, aber schließlich lässt sie ihn mit den Worten „leuchtende Liebe, lachender Tod“ doch noch über sich und seinen „kleinen“ Tod in ihr erleben. Der Vorhang aber schließt sich schnell und diskret. 

Selten gewinnt man bei einer Aufführung einer Wagneroper den Eindruck eines bestens auf sich abgespielten und vor allem miteinander agierenden und musizierenden Ensembles und noch viel seltener gab es so eine Unmenge an komischen Szenen, über die man herzlich lachen konnte und durfte!

Als Schöngeist Mime mit Nickelbrille bot der schwedische Tenor Bengt-Ola Morgny ein Kabinettstück an Wortwitz, tänzelnden grazilen Bewegungen und vieldeutigen zärtlichen Gesten mit seinen Händen, ja mit seinem gesamten ausdrucksstarken Körper. Zunächst noch grobschlächtig trat der niederländisch-schwedische Tenor Johnny van Hal als Kraftlackel Siegfried auf, bewies aber auch immer wieder sein komödiantisches Talent bei der Begegnung mit seinem Großvater Wotan und später seiner Tante Brünnhilde. Dass er in den hohen Lage hörbar an seine Grenzen stieß, sollte den positiven Gesamteindruck aber nicht wesentlich schmälern.

Opa Wotan als vagierender Wanderer war wiederum der lettische Bass-Bariton Egils Siliņš mit Heimvorteil. Mir gefiel er an diesem Abend stimmlich besser als in der Walküre. Weltweise geworden liegt ihm der alternde Gott besser als der in Zank und Hader verstrickte Lichtalbe der Walküre. Der schwedische Bariton Marcus Jupither gefiel stimmlich wie darstellerisch als Alberich zunächst in der Auseinandersetzung mit Wotan, später dann mit seinem Bruder Mime. Nachdem er vor Neidhöhle nichts erreichen konnte, eilt er schnurstracks der Götterdämmerung und seinem Sohn Hagen entgegen.

Der lettische Bass Krišjānis Norvelis konnte nach seiner gesanglich eher kurzen Partie im Rheingold endlich sein stimmgewaltiges Material als Fafner vorführen. Mit hübscher heller Sopranstimme warnte Waldvogel Kristīne Gailīte Flegel Siegfried vor Mime und riet ihm schließlich, Tarnhelm und Ring aus dem Hort zu raffen und sich das schönste Weib in einer Mülldeponie in Agonie liegend zu erwecken.

Die aus Essen stammende deutsche Sopranistin Sabine Paßow hat bereits am Staatstheater Cottbus alle drei Brünnhilden, nach verlässlicher Quelle, mit sensationellem Erfolg gesungen. Der Rezensent war daher gespannt und wurde nicht enttäuscht. Das war eine Brünnhilde ohne jegliche Höhenprobleme, die schön phrasiert, äußerst textverständlich singt und mit der Rolle verschmilzt. Da stimmte jede Bewegung, jede Regung, ja Reaktion, da gab es geradezu schwebende piani, gefolgt von feurig ekstatischen Ausbrüchen, wie sie ja beim Entfachen und Auflodern noch ungekannter erster Liebeslust eigentlich sein sollten. Brava! 

Und Maestro Cornelius Meister (Bild rechts) war seinen Sängern an diesem Abend ein vollendeter Begleiter, dessen Anweisungen das gesamte Ensemble und das Orchester der Lettischen Nationaloper hörbar bereitwillig folgten. Die Tempovorgaben waren richtig gewählt und so manch eine Passage erklang unter seine Ägide geradezu kammermusikalisch.

Manchmal kann eine Siegfriedvorstellung langatmig geraten. An diesem Abend war davon aber nichts zu bemerken. Eine durchwegs prächtige musikalische Leistung des gesamten Ensembles in einer klugen und kurzweiligen Deutung des Regisseurs wurde von starken Beifallskundgebungen des Publikums am Schluss bedankt.                

Harald Lacina                           Bilder: Oper Riga   /  Lettische Nationaloper                          

 

 

Die WALKÜRE

(Valkīra)

05.06.13

Über dem Bühnenportal in der rechten Ecke befindet sich ein Portätmedaillon Richard Wagners, das von einem Scheinwerferlicht zumindest im Rheingold und in der Walküre beleuchtet wurde. Der erste Abend der Tetralogie (wie auch die folgenden) hat der lettische Regisseur Viesturs Kairišs in Szene gesetzt. Als Dramaturg fungierte der Oldenburger Jochen Breiholz, der seit der Spielzeit 2011/12 die Leitung des künstlerischen Betriebsbüros an der Vlaamse Opera in Antwerpen bekleidet. Die Ausstattung besorgte der renommierte und auch international tätige Lette Ilmārs Blumbergs.

In der Walküre versuchte der Regisseur die extremen Positionen von Betrug und Inzest, Verrat und Mord einander kontrapunktisch gegenüber zu stellen. Motor all dieser Leidenschaft ist und bleibt für ihn aber (wie für den Komponisten) stets die Liebe. Und diesem Motto ist er als Lette auch dem Nationaldichter Jānis Rainis (eigentlich: Jānis Pliekšāns 1865-1929) verpflichtet, dessen letztes Gedicht mit den tröstlichen Worten endet: „Die erste Tugend, wie auch die letzte ist nur die: zu lieben!“ (vgl. MERIAN live! Riga, S. 89). Der Konflikt zwischen Liebe und Macht wird zu einem existentiellen Kampf, sowohl in der Abgeschiedenheit von Hundings Haus als auch in ganz öffentlich in der Arena des Zweikampfes zwischen Siegmund und Hunding und in weiterer Folge der väterlichen Bestrafung von Brünnhildes Trotz im dritten Akt.

 

Wenn sich der Vorgang öffnet erkennt man sogleich die völlige Misere von Sieglinde. In Leuchtschrift steht über der Eingangstüre „Willkommen im Tod“. Die Schrift erscheint immer wieder in anderer Farbe und zieht am Betrachter vorbei. Nichts ist also endgültig, eine die Möglichkeit einer Änderung bleibt offen. Sieglinde hat sich mit ihrem freudlosen Leben im Hause Hundings hinter einer kalten Mauer, unfähig aus eigenem Antrieb eine Veränderung herbei zu führen, scheinbar abgefunden. Wie Fafner sein Gold, so bewacht sie argwöhnisch das Schwert Nothung, das Wotan an ihrem Hochzeitstag in eine Säule des Hauses gerammt hatte. Wie in einem Schrein, so wird dieses bedeutungsschwangere Schwert hinter einer Glaswand, auf der „Don’t Touch“ geschrieben steht, aufbewahrt. Diese göttliche Waffe wirkt äußerst bedrohlich, weshalb sie wohl unter gläsernem Verschluss gehalten wurde. Wer immer diese Waffe erringt, so ist sich Sieglinde sicher, wird auch sie aus ihrer Misere mit Hunding befreien können…

Und da stürmt schwergewichtig ihr Zwillingsbruder Siegmund herbei, der, das erkennt sie sogleich instinktiv, ihrer Tristesse eine Wendung bereiten kann. Noch wehrt sie ihn mit einem Schemel ab, im weiteren Verlauf erkennt sie im Widerhall seiner Stimme ihre eigene und letztendlich ihren lang ersehnten verschollen geglaubten Bruder. Als eine sich selbst vollziehende Prophezeiung, kommen die Geschwister einander mit jedem Wort, mit jedem noch zaghaften Blick näher. Und diese verhängnisvolle und inzestuös aufkeimend Liebe ist noch eine vollkommene private Angelegenheit zwischen Hunding, Siegmund und Sieglinde. Und Hunding und Siegmund tragen ihren Konflikt zunächst noch spielerisch mit einem aufgestellten Tischfussball aus…

Aber schon im zweiten Akt wird dieser Konflikt öffentlich und dient zu einer Grundsatzdiskussion zwischen Wotan, dem Befürworter einer freien, schrankenlosen Liebe und Fricka, der Hüterin der Ehe und Moral und Werte. Als Hüterin der Ehe hat sie Hunding ihren Beistand im Kampf gegen Siegmund versprochen und zugleich steht ihre Ehre als Göttin und Ehegattin auf dem Spiel. Brünnhilde verkündet Siegmund seinen bevorstehenden Tod im Kampf und vollzieht an ihm die rituelle Totenwaschung.

Der Konflikt weitet sich weiter aus und wird nun völlig öffentlich in einem Amphitheater ausgetragen. Der Kampf zwischen Hunding und Siegmund, an dem eine johlende Zuschauermenge heftigen Anteil nimmt, endet, so sieht man auf einer Anzeigetafel, 0:0. Wotans innerem Kampf zwischen Machtbesessenheit und Liebe mussten schließlich seine unehelichen menschlichen Kinder Siegmund und Sieglinde, sein uneheliches Götterkind Brünnhilde, Halbschwester des Zwillingspaares und spätere Tante von Siegfried, und der am meisten zu bedauernde ungeliebte Hunding, den diese traurige Erkenntnis wohl hart und verbittert gemacht hat, musikalisch durch das Waldhorn eindeutig charakterisiert, zum Opfer fallen. Die rasende Menge fällt übereinander her, während Wotan Brünnhilde nacheilt, um ihren Trotz zu bestrafen… Die Walküren tragen im dritten Akt schwarzgelbe Plastikröcke und ein Schild als Verschluss ihres Umhangs, auf dem ihr Name zu lesen ist. Die Zuschauer des Zweikampfes liegen nunmehr als Tote nackt und entblößt auf den Stufen der Arena. Am Ende bettet Wotan seine Lieblingstochter auf aneinander gereihte Schemel und wiegt sie sanft in ein Koma.

Cornelius Meister leitete das Orchester der Lettischen Nationaloper äußerst umsichtig, baute spannungsgeladene Bögen auf und setzte an den dramaturgisch bedeutenden Momenten die richtigen musikalischen Akzente. Den stärksten Eindruck hinterließ bei den Männern der schwedische Bass Johan Schinkler als imposanter Kraftlackel Hunding. Dicht gefolgt auf Platz vom lettischen Bassbariton Egils Siliņš als heldenhafter Wotan, der lediglich in der Tiefe stimmlich einige Abstriche zu verzeichnen hatte.

Aber auch der Schwede Michael Weinius als Siegmund konnte darstellerisch wie auch gesanglich neben den beiden bestehen. Er hatte seine Karriere ursprünglich als Bariton begonnen und erst 2004 ins Tenorfach gewechselt, was leider an den hohen Tönen nicht zu überhören war. Besonders beeindruckend war aber die Länge seines zweiten Wälserufes. Bei den Damen hatte die Lettin Liene Kinča als Sieglinde zunächst noch einige Anlaufschwierigkeiten und eine scharfe Höhe. Sie fand aber im weiteren Verlauf des Abends zu einer ausgewogenen gesanglichen Leistung. Katrin Gerstenberger als Wotanskind Brünnhilde und Martina Dike als eifersüchtige Fricka sangen superb und agierten ausdrucksstark und hingebungsvoll. Das Oktett der Walküren wurde rollengerecht und stimmlich harmonisch von Dana Bramana/Gerhilde, Aira Rūrāne/Ortlinde, Elena Sommer/Waltraute, Irma Pavāre/Schwertleite, Julianna Bavarska/Helmwige, Natālija Krēsliņa/Siegrune, Ilona Bagele/Grimgerde und Liubov Sokolova/Roßweiße interpretiert.

Großer Applaus für alle Beteiligten, allen voran natürlich Wotan mit Heimvorteil, dicht gefolgt von Hunding und Brünnhilde. Und auch Dirigent Meister wurde für seine umsichtige Leitung zu Recht vom Publikum bedankt.                                                      

Harald Lacina

 

 

DAS RHEINGOLD

(Reinas zelts)

04.06.13

Der norwegische Regisseur Stefan Herheim (geb. 13.3.1970) ist bekannt dafür, dass er beim Publikum voraussetzt, wenigstens den Inhalt der Oper, wenn schon nicht dessen Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte, zu kennen. Unter dieser Prämisse funktioniert jede Inszenierung unter dem Label “Stefan Herheim“, das noch die Ausstatterin Heike Scheele und den Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach umfasst. Die drei bedingen einander geradezu und das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit ist eine sprudelnde Bilderflut, reich an Assoziationen und Zitaten anderer Inszenierungen (sofern man jene kennt)!

Da treten zunächst die drei artig frisierten, aber umso ausgelasseneren Rheintöchter in blau weißen Schuluniformen mit ihren Schulbänken in Alberichs Klassenzimmer auf. Lehrer Alberich mit Backenbart trägt das aus unzähligen Illustrationen bekannte Wagner-Käppchen. Die Szene erinnert an Peter Konwitschnys Lohengrin aus Hamburg (2005) und Barcelona (2006). Die Gören werden nun immer lasziver und Alberich entpuppt sich als Lustmolch wenn sich seine Hand beim „garstig glattem glitschigem Glimmer“ im Unterrock eines der Mädels verfängt. Die Positionen verschieben sich nun: Alberich wird zum Schüler, die Rheintöchter aber belehren ihn aber über die Macht des Rheingoldes. Und Alberich entdeckt schließlich das besagte Rheingold hinter der Schultafel: es ist ein Modell des Festspielhauses von Bayreuth, in das er klettert und die Liebe mit der rechten Hand zum Hitlergruß gestreckt verflucht.

 

Im zweiten Bild befinden wir uns dann in einem großbürgerlichen Salon des 19. Jhd., wo Wotan in Gestalt von Richard Wagner am Klavierflügel sitzend vor sich hin döst, während ein Komparse in Gestalt von Siegmund Freud gerade den auf einem Kanapee liegenden Friedrich Nietzsche mit einer Taschenuhr und unter den Argusaugen von Engelbert Humperdinck und Franz Liszt, hypnotisiert. Nachdem Wotan erwacht ist, notiert sich Siegmund Freud alle Worte des Gottes, ist dieser doch möglicher Weise ein interessanter Fall für ihn als Psychoanalytiker. Nicht lange danach aber wird Dr. Freuds ganze Aufmerksamkeit durch den mit einem Schwan unter dem Arm eintretenden Bayernkönig Ludwig abgelenkt. Der Schwan lechzt nach dem letzten der Jugend spendenden Äpfel Freias, weshalb Dr. Freud kurz entschlossen gleich beide zu einer Therapiesitzung auf sein Sofa beordert. 

Aber so wie der Rhein ohne Unterlass fließt, so wandeln sich auch die Figuren ständig. Passend zur stampfenden Musik treten Fasolt und Fafner als Marx und Engels mit Hammer und Sichel, sich rhythmisch wiegend,  auf. Und wieder ein Zitat: als nämlich Fafner Fasolt erschlägt, dann tut er es in der Weise, wie Hunding Siegmund im Bayreuther Ring von Patrice Chéreau hingeschlachtet hatte.

Lehrer Alberich wird im dritten Bild zu Adolf Hitler, der mit seinen SS-Schergen das Gold rafft. Aus den Nibelungen werden im vierten Bild ihres Eigentums beraubte Juden und andere Personengruppen, die die Symbole ihrs Glaubens, u.a. eine siebenarmige goldene Menora, den Gekreuzigten, den tanzenden Shiva, aber auch eine Leier aus Tannhäusers Sängerkrieg auf der Wartburg und ähnlichem vor Wotan, in Gestalt Richard Wagners und mit Partitur unter dem Arm, in der er immer wieder interessiert blättert, ausbreitet. Froh als Hermann Göring und Donner als hinkender Joseph Göbbels, der den Riesen mit Mikrophon und Mantel entgegen zu treten versucht, tun das ihre zu der äußerst beklemmenden, alle Sinne ausreizenden und an die Grenze des Erträglichen gehenden Bildsprache Stefan Herheims bei.

Und Adolf Hitler verwandelt sich wieder in Alberich zurück, gefesselt an ein herab gefallenes Hakenkreuz, das das Ende seiner brutalen Herrschaft über die Nibelungen symbolisiert. Nachhilfe in deutscher, ja europäischer Geschichte wird dem Betrachter potpourrieartig vorgeführt. Und so treten weitere Komparsen in den Kostümen von Luther, Goethe, Beethoven und Bismarck auf. Und Fricka ist natürlich die besorgte Cosima von Bülow.

Und am Ende sind alle Götter mit Smoking und nobler Abendrobe bekleidet und betreten das Bayreuther Festspielhaus. Erneut trägt der Stamm von Freias Apfelbaum Früchte und Wotan stößt das Schwert Nothung schon mal vorsorglich in seinen Stamm. Danach verschwindet er noch schnell in den Souffleurkasten, aus dem Erda zuvor entstiegen war, um mit der Wala noch rasch die Walkürenschar zu zeugen… Fricka ahnt bereits Verrat und eilt noch einmal aus dem Festspielhaus, während Wotan wieder der Unterwelt entsteigt und noch schnell seine geöffnete Hose schließt.  

Stefan Herheims Rheingold-Inszenierung mag den Probeanlauf zu seinem opulenten Parsifal in Bayreuth dargestellt haben. Zu Gute muss man ihm bei seiner Sichtweise aber halten, das er die oft sträflich vernachlässigten komischen Passagen im Rheingold genüsslich ausgelotet und bewegende Bilder für die ernsten Szenen geschaffen hat. Alles und jedes wird dabei thematisiert: das Verhältnis Wagners zu seinem Werk, sein geistiges Umfeld, Bayreuth und die Rezeption seiner Opern. Wagner aber durchdringt dabei symbolhaft durch die Weitergabe der Partitur an Mime, Loge und Alberich alle Figuren.

Für die musikalische Umsetzung zeichnete der junge 33 jährige shooting star Cornelius Meister, Chefdirigent des Radio-Symphonieorchesters Wien, verantwortlich. Es ist sein erster Ring. Da mag man noch an einzelnen Passagen herumkritteln, manche tempi anders wählen, aber im Großen und Ganzen gab er doch einen respektablen Einstand als Dirigent der Tetralogie. Das Orchester der Lettischen Nationaloper folgte ihm ergeben und so war, abgesehen von einigen verwackelten Tönen vom Blech, ein durchaus stimmungsvolles Vorspiel zu hören.

Das aus lettischen Sängern bestehende Ensemble wurde durch internationale Gäste verstärkt. Ralf Lukas gab einen äußerst textverständlichen, zu Gewaltausbrüchen neigenden jungen Wotan in Gestalt des Komponisten, Armands Siliņš und Andris Ludvigs die kleineren Götter Donner und Froh in Gestalt von Göbbels und Göring. Göran Eliasson war einen durchtriebener, hinterlistiger Loge. Als die Riesen Fasolt und Fafner überzeugten mit behäbiger Röhre Rihards Mačanovskis und Krišjānis Norvelis.

Oliver Zwarg gefiel als grapschender Alberich und später als dämonischer Schwarz-Albe in Gestalt von Adolf Hitler. Der schwedische Tenor Bengt-Ola Morgny legte seinen larmoyanten Mime textlich präzise und in der von der Regie geforderten parodistischen Darstellung an. Die drei Göttinnen Fricka, Freia und Erda wurden stimmlich wie darstellerisch durchaus zufrieden stellend von Martina Dike, Dana Bramane und Liubov Sokolova, letztere mit einer Altstimme, die an Zarah Leander erinnerte, interpretiert. Ausgewogen sangen auch bei aller drastischen Spielweise die Rheintöchter Woglinde / Julianna Bavarska, Wellgunde / Aira Rūrāne und Floßhilde / Kristīne Zadovska.

Am Ende bedanke das Publikum gleichmäßig die Leistungen aller Sänger. Obwohl Regisseur Herheim nicht anwesend war, gab es doch vereinzelte Buhrufe, die aber vom Applaus der Mehrheit sofort unterdrückt wurden.

Harald Lacina

 

 

 

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