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GLYNDEBOURNE 

 

 

DER ROSENKAVALIER

„Ist ein Traum ….“

19..6.2018

 

Traumhaftes Wetter versetzte die elegant gekleideten Opernbesucher in Glyndebourne bereits vor der Aufführung in Festspielstimmung. Wiesen und Parkanlagen um das Festspielhaus waren schon lange vor Beginn der Aufführung mit Tischen und Stühlen bevölkert und es fehlte nicht an Champagner und allerlei kulinarischen Leckereien, die Appetit machten auf Richard Strauss‘ und Hugo von Hofmannsthals Geniestreich „Der Rosenkavalier“, der in so einmaliger Weise nostalgische, romantische und burlesk-possenhafte Motive vereint.


Die Wiederaufnahme der Inszenierung von Richard Jones aus dem Jahr 2014 hatte seiner Zeit bei der Premiere neben viel Zustimmung auch starke Kritik erfahren. Da war von Oberflächlichkeit, von Kälte und fehlender politischer Aussage die Rede. Eine genaue zeitliche Verortung der Handlung lässt sich in der Tat in Jones‘ Regiekonzept nicht feststellen. Die eigentlich im 18. Jahrhundert angesiedelte Komödie spielt bei Jones in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der erste Akt ist eher in der Entstehungszeit der Oper angesiedelt und zeigt vor allem in den Kostümen der Marschallin und ihrer Dienerschaft (Costume Designer: Nicky Gillibrand)  noch rokokohafte Reminiszenzen, der 2. Akt entwirft mit dem protzigen Palais des Herrn Faninal ein nüchternes Art Decó – Ambiente, während der Schlussakt mit dem vor allem farblich poppigen Wirtshauszimmer mit dem auf Knopfdruck ausschiebbaren Lotterbett sich jeder Zuordnung zu einer klar definierten Zeitperiode entzieht (Bühne: Paul Steinberg).

Die Mischung von Pop-Art, Rokokomotiven und Fin de Siécle – Stimmung in Jones Interpretation zielt auf keine eindeutige politische Botschaft, den Regisseur interessieren vor allem die menschlichen Beziehungen in dieser gar nicht so lustigen Komödie. Die sind im Fall des Baron von Ochs auf Lerchenau geprägt durch krassen, schnöden Kommerz, im Fall des Herrn Faninal durch krankhaften gesellschaftlichen Ehrgeiz, der ihn dazu verleitet, seine Tochter Sophie wie ein Stück Ware an einen selbstverliebten und heruntergekommen Landadeligen zu verschachern. Im 2. Akt wird Sophie von den Lakaien des Barons auf einen großen Tisch gezerrt und wie ein Stück Ware, wie eine Trophäe von allen Seiten begutachtet. Derart eindrucksvolle Szenen gibt es in der Inszenierung noch an vielen anderen Stellen.

So steigt die Marschallin im 1. Akt wie eine Venus unter den begehrlichen Blicken des in einen Bademantel gehüllten Octavian aus einer grünen Badewanne, womit an der vornehmlich erotisch motivierten, egoistischen (?) Beziehung der Marschallin zu ihrem jungen Geliebten kein Zweifel gelassen wird. Im 2. Akt wird Sophie wie eine Marionette von ihrer Mutter für die Begegnung mit ihrem Zukünftigen vorbereitet und angezogen. Nach der Begegnung mit ihrem Bräutigam, der in seinem Benehmen seinem Namen alle Ehren macht, zieht sie ihr festliches Kleid demonstrativ aus, während Octavian dem Baron mit dem spitzen Stiel der silbernen Rose in den Allerwertesten sticht. Das führt nicht nur zu heiterem Gelächter im Rund des Festspielhauses, sondern ist auch eine sinnfällige Demaskierung der Rosenübergabe als eines verlogenen und klebrigen Rituals. Beinahe rührend anzusehen ist es, wenn Sophie und Octavian sich zum ersten Mal begegnen und beide sofort den Boden unter den Füßen verlieren. Sie schwanken hin und her, von ihren Gefühlen übermannt.

Ein besonderes Lob verdient die Lichtregisseurin Mimi Jordan Sherin. Sie taucht die geblümte Tapete im Boudoir der Marschallin, aber vor allem dann auch die betongrauen Wände des Hauses von Faninal in die verschiedensten Farben von Gelb, Grün, Violett bis Blutrot und unterstreicht so Stimmung und Gefühlslage der handelnden Personen auf eindrucksvolle Weise. Wenn die Marschallin am Schluss des 1. Aktes über die Vergänglichkeit des Lebens philosophiert und in diesem Augenblick alle Attitüden, Egoismen und Eitelkeiten beiseite lässt und ganz bei sich selbst ist, dann wandelt sich das anfänglich kühle Grau-Gelb der Tapetenwände in einen warmen Goldton. Die große Uhr in ihrem Schlafzimmer, deren Zeiger sich während der Aufführung unaufhaltsam fortbewegen, wird dabei zum unübersehbaren Menetekel der von Hofmannsthal immer wider ins Bewusstsein gerückten Zeitproblematik. Dem Publikum im weiten Rund gefiel die Inszenierung mit ihren zahlreichen Slapstick-Einlagen und ihrer burlesken, oft auch ironisch-kühlen Lesart offensichtsichtlich sehr gut. Man lachte jedenfalls auch an den Stellen, wo dem Besucher nicht nur nach Intention des Librettisten, sondern auch des Regisseurs das Lachen eigentlich im Halse stecken bleiben sollte.

Wie schon 2014 lag die Leitung der Aufführung in den Händen des Musikdirektors der Glyndebourner Festspiele Robin Ticciati. Mit den Solistinnen und Solisten des wunderbaren London Philharmonic Orchestra traf er den Strauss-Ton mit traumwandlerischer Sicherheit. Wiener Walzerseligkeit, die Melancholie des Zeitmonologs der Marschallin, die rüpelhaften und polternden Ausbrüche des Ochs oder die Seligkeit der beiden jungen Liebenden in dem überirdisch schönen Schlussduett „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein“ fanden in der Interpretation des jungen Briten ihre mustergültige Entsprechung.


Alle solistischen Hauptpartien waren gegenüber 2014 neu besetzt. Die Palme gebührt hier eindeutig Michaela Kaune als Marschallin. Besonders in ihrem großen Monolog am Ende des ersten Aktes sang sie mit der berühmten Träne in der Stimme und mit einer melancholischen Intensität, die einen als Zuhörer förmlich den Atem anhalten ließ. Da musste man unwillkürlich an so große Vorgängerinnen in dieser Rolle wie Elisabeth Schwarzkopf, Sena Jurinac. Lisa della Casa oder Kiri te Kanawa denken. Eine wunderbare Leistung! Hinzu kommt, dass Frau Kaune in ihrer reifen, aber dennoch jugendlichen Ausstrahlung genau dem Bild dieser Figur entspricht, das Hofmannsthal im Auge gehabt haben dürfte.

Kate Lindsey als Octavian verkörperte einen darstellerisch und sängerisch stürmischen Liebhaber. Ihrer hellen Stimme fehlt vielleicht hier und da ein dunklerer Unterton, dafür prunkt Kate Lindsey mit strahlenden Spitzentönen. Im Schlussterzett und Schlussduett des letzten Akts gewann ihr makellos geführter Mezzo dann jedoch die Wärme und Glut, die man bei der Interpretation dieser Rolle erhofft. Louise Adler gab eine agile, kratzige, dann wieder einfühlsame und liebevolle Sophie. Ihr kräftiger, leuchtender Sopran ist vielleicht fast schon über das lyrische Stimmfach hinausgewachsen. Sie klang aber immer dann ergreifend schön, wenn sie wie etwa im Schlussduett ihre Stimme etwas zurücknahm.

Brindley Sherratt bewältigte die mörderische Partie des Baron Ochs auf Lerchenau mit stimmlicher Bravour. Wie er darstellerisch und sängerisch die Balance zwischen Komik und Klamauk einerseits sowie brutaler und rücksichtsloser Attacke andererseits zu halten verstand, verdient größte Anerkennung. Dass ihm trotz aller Bemühungen das Wienerische Idiom nicht problemlos zu Gebote steht, war für die meisten Opernbesucher sowieso von untergeordneter Bedeutung. Sie verfolgten den Text mittels der englischen Obertitel und wussten nicht, welche Feinheiten der Sprache Hofmannstahls ihnen entgingen. Auch alle anderen Partien waren rollendeckend besetzt. Michael Kraus als Faninal und Sehoon Moon als Sänger seien hier stellvertretend lobend genannt.

Das Publikum in Glyndebourne spendete frenetischen Beifall. Eine distinguierte ältere Dame wandte sich zu mir und meinte: „It was a dream, wasn’t it?“ Ja, das war es!
 
Norbert Pabelick 3.7.2018

Bilder (c) Glyndebhourne Festival - teilweise von 2014

 

 

 

 

"La Clemenza di Tito“

Die große Kunst des Richard Croft

 

Premiere: 26.07.2017

 

Von dem Mitbegründer und langjährigen Generalmanager der Festspiele in Glyndebourne, Rudolf Bing, stammt die ironisch-launige Bemerkung, die Kühe auf den Wiesen rund um das Festspielhaus in Glyndebourne verständen mehr von Musik als die festlich gekleideten Opernbesucher. Bei moderner Musik nähmen sie alle Reißaus, bei Mozarts Musik fänden sie sich alle wieder ein. An dem verregneten Premierentag von Mozarts „La Clemenza die Tito“ waren jedenfalls Kühe und Festivalbesucher vollzählig erschienen und brauchten ihr Kommen nicht zu bereuen, auch wenn das obligate Picknick im wunderschönen Park des Festspielhauses ausfallen und in ein großes Zelt verlegt werden musste.

Der deutsche Regisseur Claus Guth, der besonders mit seinen Inszenierungen der Opern von Richard Strauss an allen großen Bühnen der Welt reüssiert hat, legt den Focus der Handlung ganz auf die gefährdete Freundschaft zwischen Titus und Sextus. Schon zur Ouvertüre zeigt ein Videoclip (Arian Andiel) die beiden Freunde als Kinder beim Spiel in einer  wilden Wiesen- und Waldlandschaft. Ihre unterschiedlichen Charaktere werden hier schon sichtbar. Der draufgängerische, leidenschaftliche Sextus erlegt mit einer Zwille einen Vogel, während sich Titus eher schmerzlich und verstört von diesem brutalen Spiel abwendet.

In der kalten Atmosphäre des politischen Machtapparats seines Imperiums ist Titus dann auch folgerichtig ein Fremder. Voller Schmerz opfert er sein privates Glück mit Berenice der Staatsraison und ist den Intrigen am kaiserlichen Hof fast hilflos ausgeliefert. Designer Christian Schmidt und Ligthing designer Olaf Winter haben in ihrem Bühnenbild und in ihrer Lichtregie dafür eine stimmige Handlungsplattform geschaffen. In dem in zwei Ebenen angeordneten Bühnenbild sieht man im oberen Teil die dunkle, kalte und farblich in tristem Schwarz gehaltene Chefetage eines modernen Konzerns, aus der mit dem Auszug der farbenfroh gekleideten syrischen Hasmonäerin  Berenice der letzte Farbtupfer verschwindet.
Im unteren Teil erblickt man eine wild wuchernde Wiesenlandschaft, die Schauplatz wilder Leidenschaften und verbrecherischer Komplotte wird. Hier verführt die lasziv, fast nuttig aufgemachte Kaisertochter Vitellia, die sich von Titus verschmäht glaubt, Titus Jugendfreund Sextus in einem an Eindeutigkeit nichts auslassenden Liebesakt, hier stachelt Vitellia Sextus rachsüchtig zum Mord an Titus an. Andererseits ist dieser Naturraum auch Hintergrund für die Liebesschwüre von Sextus Schwester Servilia, die ihrem Geliebten Annius trotz der Aussicht, Titus‘ Gemahlin und damit Kaiserin zu werden, standhaft die Treue hält. Die Wildnis ist schließlich auch der Ort, zu dem sich Titus herabbegibt, um Sextus und Vitellia mit seiner Clementia zu beschämen. Die neuerlich eingespielten Videos aus der Zeit der Jugendfreundschaft lassen nur eine Deutung übrig. Titus hat endgültig allen Machtrankünen und Intrigen, aller Gewalt und Feindseligkeit abgeschworen. Er setzt auf Freundschaft und Humanität. Wenn Titus, Sextus und Vitellia im Schlusstableau allerdings weit voneinander entfernt, wie isoliert und verloren auf der Bühne stehen, so setzt Guth hinter ein solches Happy End doch zu Recht ein dickes Fragezeichen.

Musikalisch ließ die Aufführung keinerlei Wünsche offen. Glyndebournes Conductor Robin Ticciati dirigierte das auf alten Instrumenten musizierende Orchestra oft the Age of Enlightenment und den vorzüglichen „ Glyndebourne Chorus“(Jeremy Bines) mit einer Präzision, Agilität und Attacke, die eine ungeheure Spannung aufbaute, gleichzeitig aber den Sängerinnen und Sängern die nötige Luft zum Ausleben ihrer Gefühle und Leidenschaften ließ. Richard Croft sang und spielte den innerlich zerrissenen Kaiser Titus einfach großartig. Welches Maß an Stimmungsschwankungen in seinem Gesang gerade auch in den Rezitativen zum Ausdruck kam, wie uneitel sich Croft ganz in den Dienst der herrlichen Musik Mozarts stellte, das verdient größte Bewunderung. Der Sextus der englisch-französisch stämmigen Mezzosopranistin Anna Stéphany kann den Vergleich mit den größten Interpretinnen dieser Rolle wie Yvonne Minton, Theresa Berganza, Brigitte Faßbender oder in jüngster Zeit Eleana Garanca, Joyce DiDonato und Christina Gansch mühelos aushalten. Ihr leuchtender Mezzo bleibt der Partie nichts schuldig. Verzweiflung, Leidenschaft, Schmerz, Liebe: ihre makellos geführte, warm timbrierte und  in der Höhe groß aufblühende Stimme gibt alle Gefühle mit einer Intensität wieder, die dem Zuhörer ein um das andere Mal Schauer über den Rücken fahren lässt.

Die hoch dekorierte Alice Coote, gefeierter Star an allen großen Bühnen der Welt, sang und spielte die intrigante und rachsüchtige Kaisertochter Vitellia mit einer Glut und Leidenschaftlichkeit, die das hölzerne Rund des Festspielraumes fast zum Zerbersten brachte. Als Mezzo verfügt sie neben einer fulminaten Höhe über die nötige Tiefe, um ihre große Schlussarie „Non più di fiori“ zu einem stimmlich und musikalischen Glanzpunkt der Aufführung werden zu lassen. Einfach wunderbar! Da auch die Servilia Joélle Harveys, der Annius Michéle Losiers und der Publius von Clive Bayley sich in dieses erlesene Sängerterzett nahtlos einfügten, stand dem Opernglück der enthusiasmierten Festival-Besucher nichts mehr im Wege.

 

 

 

 

Der Schlussbeifall wogte auf wie die Wellen im nahen Seebad Brighton: überschäumend und heftig, aber auch recht schnell verebbend. Auch das ist offensichtlich neben Smoking, Abendkleid, High Tea vor der Aufführung und Picknick im Park Tradition. Ach ja, die Kühe! Sie standen nach der Aufführung alle an ihrem Platz und brachten so dem Genie Mozart und den großartigen Interpretinnen und Interpreten seiner Musik bei dieser Aufführung ihre stille Reverenz entgegen.

 

Norbert Pabelick

Fotos © DerOpernfreund und Monika Rittershaus

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