Kurt Weill Fest 2017
DREI GROTESKEN
Ballettabend mit Musik von Max Brand, Stefan Wolpe und Wilhelm Grosz –
Premiere am 26.2.2017
Szene aus „Drei Anti-Stücke“ von Stefan Wolpe, dem Mittelteil des Dessauer Ballettabends.
Zu den Vorzügen des Kurt Weill Festes in Dessau gehört es, Werke der sogenannten klassischen Moderne wiederzuentdecken – mehr noch aber, sie in größere Zusammenhänge einzuordnen, Verbindungslinien sichtbar zu machen. Wie in dem Ballettabend „Drei Grotesken“, ein Beitrag des Anhaltischen Theaters Dessau in Kooperation mit der Stiftung Bauhaus Dessau. Pikant ist eine kleine Anmerkung im Programmheft: Die Wiederentdeckung dreier spannender Miniaturen aus den Zwanziger Jahren „wurde realisiert aus Mitteln des Theaterpreises des Bundes 2015“.
Wenden wir das etwas anders: Ohne dieses Preisgeld hätte sich das Dessauer Theater wohl schwer getan, das Projekt zu stemmen. In solchen Momenten zeigt sich, wie desaströs die massive Kürzung der Mittel wirkt, die das Land Sachsen-Anhalt während der Amtszeit von Kultusminister Stephan Dorgerloh vorgenommen hat. Der Minister ist weg, die Kürzungen sind geblieben – und der Ministerpräsident, der sie abgesegnet hat, lässt sich als Schirmherr des 25. Kurt Weill Festes feiern. Immerhin: Die staatlichen Mittel für das Festival hat der seit 2016 amtierende Kultusminister Rainer Robra den gestiegenen Kosten angepasst. Von 20 Prozent mehr war auf der Eröffnungs-Pressekonferenz die Rede.
Die „Grotesken“ sind drei recht unterschiedliche Stücke aus ähnlichem Geist: Max Brand, aus dem Kultur-Humus von Lemberg stammender Komponist der Oper „Maschinist Hopkins“, schrieb seine „Tragödietta“ 1926 für das Stuttgarter Ballett, dort gemeinsam mit Mozarts „Les petits riens“ aufgeführt. Es ist ein ironischer zehnminütiger Blick auf einen läppischen Stoff: Ein missgünstiger Mann verpfeift das Rendezvous eines Bauernmädchens mit einem Knecht an die Eltern und verhindert so das Glück der jungen Leute. Brand könnte damit die melodramatische italienische Moderne verspottet haben – denn „Cavalleria rusticana“ war damals erst 35 Jahre alt und veristisch-blutvolle Bauerndramen schwer in Mode. Musikalisch macht er das mit einer transparenten, mit ostinaten Rhythmen und solistischen Melodien arbeitenden Annäherung an zeitgenössische Tanzmusik.
Der Schreker-Schüler Brand, Jude, politisch links, von den Nazis zur Flucht gezwungen, hatte von Wien aus zweifellos enge Kontakte zur Musikstadt Berlin. Dort etablierte sich Stefan Wolpe, Jude, politisch links, von den Nazis zur Flucht getrieben, nach Studien bei Ferruccio Busoni als Musiker und Komponist. Wie Weill war er Mitglied der linken „Novembergruppe“, interessierte sich für Bauhaus und Dada, schrieb Arbeiterlieder, satirische Nummern und Kabarettmusik. Die in Dessau erstmals als Tanzstück zusammengefassten „Drei Anti-Stücke“ entstanden für das Kabarett Anti und seine Jazzband. Ein schwermütiger, sich in grotesken Fetzen auflösender Blues, ein fratzenhafter Marsch und als Mittelstück eine anklagende, an ein modernes Requiem erinnernde Vertonung von Erich Kästners „Stimmen aus dem Massengrab“ mit Sprechchor füllen die rund zehn Minuten mit unglaublich vielfältiger Musik, virtuos instrumentiert, im Stil zwischen Neuer Sachlichkeit, hochexpressivem Drama und ironischen U-Musik-Zitaten changierend.
Mit einer guten halben Stunde Dauer ist Wilhelm Grosz‘ „Baby in der Bar“ ein kleines surreales Dramolett. Kein Wunder, denn der Autor des Librettos ist Béla Balázs, Drehbuchautor, Librettist und der bedeutendste Filmtheoretiker der Weimarer Zeit – und Mitautor des Skripts für den 1931 gedrehten Dreigroschenoper-Film. Auch Grosz war Jude und ein Opfer der zunehmenden gesellschaftlichen Repression in Wien, von wo er schon 1934 nach London auswanderte.
Das quäkende Baby, das eine Mutter in melodramatischer Verzweiflung in einer Bar hinterlässt, wächst dort gespenstisch schnell heran, zeigt sich als trinkfest und mit seinen Fäusten schlagfertig, dominiert Tresen und Publikum, zeigt ein unverhohlenes Interesse an dem adretten Barkeeper und zieht ihn – das wohl eine Dessauer Interpretation –fröhlich schnullernd am Ende mit sich davon.
Grosz hatte mit Revuemusik und Schlagern großen Erfolg, verstand sich aber als Komponist mit ernsthaftem Anspruch. Seine in Wien und Dessau 1925 gleichzeitig uraufgeführte Oper „Sganarell“ hat sich – bis auf die Ouvertüre – leider nicht erhalten. Für „Baby in der Bar“ verarbeitet Grosz vom Tango über den Charleston bis zum Shimmy die Modetänze seiner Zeit, macht sie aber in der „übertragenen Form“, die Kurt Weill als Ergebnis des Adaptionsprozesses erkannte, zur Basis einer höchst komplexen, polytonal aufgefächerten Musik, die immer wieder ironisch mit den rhythmischen Vorgaben des Tanzes spielt. Die Instrumentierung ist – vom Saxophon bis Sousaphon – kräftig auf den Zeitgeist bezogen.
Das verlangt von den Mitgliedern der Anhaltischen Philharmonie Dessau, die hinter der Bühne spielen, viel Stilgefühl. Aber der Anspruch wird eingelöst: Die heiklen Soli sind so gut wie alle auf Glanz poliert, der Rhythmus wird mit Elan und Elastizität getroffen. Dirigentin Elisa Gogou lässt, auf Präzision bedacht, wenig laszive Schleifer zu; das Zupackende liegt ihr eher. Aber Zwischentöne wie in dem grotesken Trauermarsch Wolpes sind bei ihr in guten Händen.
Für die Aufführungen auf der Bühne des Bauhauses hat Moritz Nitsche eine halbtransparente Wand gebaut, streng geometrisch und schnörkellos im Geiste des gastgebenden Hauses. Judith Fischers Kostüme greifen in herrlicher Vielfalt die Mode der Zeit auf – von der Baby-Hemdhose bis zur ausgefallen-aufreizenden Couture des Bar-Publikums, von den einfachen Crème-Tönen in der „Tragödietta“ bis zu den klaren, schwarzen, uniformähnlichen Hemden und Hosen in den Anti-Stücken.
Der Dessauer Ballettchef Tomasz Kajdański bevorzugt für die drei Stücke eine Mischung aus Pantomime und klassischen Dreh- und Sprungfiguren, die er sehr bewusst an die wechselnden Situationen und Emotionen anpasst. Daisuke Sogawa hat in der „Tragödietta“ wilde Eifersucht in ebenso wilde Sprünge zu fassen, Marie-Sara Richter und Marin Delavaud zeigen ihre gegenseitige Zuneigung mit weicheren, fließenden Bewegungen und verhaltenen Figuren. In den drei „Anti“-Stücken rezitiert ein Statistenchor den Text Kästners hinter der milchigen Wand, trennende Schwelle von Diesseits und Jenseits: Schatten, die sich am Ende monströs vergrößern und verschwinden. Als Säugling hat Vincent Tapia eine hinreißende Paraderolle in „Baby in der Bar“, die er mit sichtlichem Vergnügen und geschmeidiger Körperenergie ausfüllt. Marin Delavaux brilliert als Barmixer in einem herrlich zappeligen Einzelauftritt zu Beginn und in einem fast klassisch anmutenden, sprungreichen Solo gegen Ende. Anna-Maria Tasarz gibt die verzweifelte Mutter mit dem Gestus alter Stummfilm-Diven. Seit seiner Uraufführung in Hannover 1928 hat dieses „Baby“ sein komödiantisches Potenzial nicht eingebüßt: Das Publikum in Dessau zeigte sich angeregt amüsiert.
Foto (c) Caudia Heysel
Werner Häußner 6.3.2017
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
Auch nach dem Kurt Weill Fest gibt es noch Aufführungen am 25. März und 23. April. Karten: Tel. (0340) 2511 333, www.anhaltisches-theater.de
Operneinakter-Raritäten
Der Diktator
von Ernst Krenek
Der Zar lässt sich photographieren
von Kurt Weill
Premiere: 28. 2. 2016
Das 24. Kurt Weill-Fest in Dessau, das vom 26. 2. bis 13. 3. 2016 stattfindet und unter dem Motto„Krenek, Weill & die Moderne“ läuft, brachte unter anderem die beiden Opern-Einakter „Der Diktator“ von Ernst Krenek und „Der Zar lässt sich photographieren“ von Kurt Weill, die beide im Jahr 1928 uraufgeführt wurden, am 28. Februar 2016 im Anhaltischen Theater zur Aufführung. Die vielen Gemeinsamkeiten der Komponisten, die beide im Jahr 1900 geboren wurden, versucht ein Symposium unter dem Titel Zeitgenossenschaft am 3. und 4. März in Dessau zu erarbeiten. Am 4. 3. werden Marco Hoffmann und Reinke Schwinning von der Universität Siegen über die beiden Einakter unter dem Titel Weisen von Liebe und Tod diskutieren.
Im Festspiel-Magazin ist auch ein Grußwort des niederösterreichischen Landeshauptmanns Dr. Erwin Pröll abgedruckt. Daraus ein Zitat: „Da trifft es sich sehr gut, dass sich heuer, im Jahr des 25. Todestages von Ernst Krenek, die Kurt-Weill-Gesellschaft und das Ernst Krenek-Institut zusammengetan haben, um mit dem diesjährigen Kurt Weill-Fest in Dessau diese beiden musikalischen Weltbürger zu feiern und sich mit dem Werk dieser Künstlerpersönlichkeiten ausführlich zu beschäftigen.“
„Der Diktator“: Maria, die Frau des erblindeten Offiziers (Iordanka Derilova), schickt sich an, den Diktator (Ulf Paulsen) in seinem Urlaubsort in der Schweiz zu erschießen (Foto: Claudia Heysel)
Interessant auch, dass die beiden erfolgreichsten Opern der beiden Komponisten knapp hintereinander uraufgeführt wurden: Johnny spielt auf von Krenek im Jahr 1927 und Die Dreigroschenoper von Kurt Weill 1928. Diese beiden Opern waren die meistgespielten Musiktheaterwerke der Zwischenkriegszeit. Tragisch noch die Parallele, dass nach der Machtergreifung der Nazis ihre Werke in Deutschland und Österreich verboten wurden und beide nach New York fliehen mussten, wo sie einander besuchten, wie Tagebucheintragungen belegen.
Der Diktator wurde gemeinsam mit seinen beiden anderen Einaktern Das geheime Königreich undSchwergewicht oder Die Ehre der Nation im Jahr 1928 in Wiesbaden uraufgeführt. Die Handlung des Werks, das oberhalb von Montreux am Genfer See spielt und dessen Libretto der Komponist selbst verfasste, in Kurzfassung: Maria verwandelt sich von der potentiellen Tyrannenmörderin in eine willfährige Geliebte des Diktators. Sie hatte ihn aufgesucht, um an ihm Rache für ihren im Krieg erblindeten Ehemann zu nehmen, liegt aber bald in seinen Armen. Als Charlotte, seine von ihm seit langem gedemütigte Frau, die zu Boden gefallenen Pistole aufnimmt und Maria, die vom Diktator als Schutzschild missbraucht wird, erschießt, verwandelt sich der Diktator binnen Sekunden in einen kühl kalkulierenden Herrscher und seine despotische Handlungsweise bricht wie eine Fassade zusammen.
In der Titelrolle des Diktators, der in der Schweiz seinen Urlaub verbringt, bestach der Bariton Ulf Paulsen durch seine starke Bühnenpräsenz und seine kräftige Stimme, wenngleich er zu Beginn den charismatischen Machtmenschen zu komödienhaft spielte. Charlotte, seine von ihm oft gedemütigte Frau, wurde von der Sopranistin Stefanie Kunschke recht glaubhaft dargestellt. Die bulgarische Sopranistin Iordanka Derilova überzeugte stimmlich wie schauspielerisch in der Rolle der Maria. Sie spielte ihre Verwandlung von der potentiellen Tyrannenmörderin zur Geliebten des Diktators beeindruckend. Gut auch der Tenor Albrecht Kludszuweit als erblindeter Offizier.
„Der Zar lässt sich photographieren“: Szenenbild: Der Zar (Ulf Paulsen) im Flirt auf der Couch mit der falschen Angèle (Iordanka Derilova), die ein Attentat auf ihn plant (Foto: Claudia Heysel)
Nach der Pause kam Kurt Weills Opera buffa Der Zar lässt sich photographieren in gleicher Bühnenausstattung wie Kreneks tragische Oper Der Diktator zur Aufführung (Gestaltung der Bühne von Nicole Bergmann, Entwürfe der Kostüme von Jessica Rohm, die beide zum Erfolg dieser Produktion wesentlich beitrugen).
Die Handlung der Opera buffa von Kurt Weill, deren Libretto Georg Kaiser verfasste und die in Leipzig uraufgeführt wurde: Sie spielt in Paris im Atelier der Fotografin Angèle, bei der das Hofmarschallamt den baldigen Besuch des Zaren anmeldet. Während der Vorbereitungen trifft eine Gruppe von Verschwörern ein, die den Zaren ermorden wollen. Die Angestellten des Ateliers werden weggesperrt und im Fotoapparat eine Pistole installiert. Als der Zar mit seinem Begleiter erscheint, beginnt er mit der falschen Angèle zu flirten. Sie schafft es nicht, ihren Auftrag auszuführen, da der Zar ständig die Position wechselt. Außerdem wünscht er plötzlich, selbst die Fotografin abzubilden. Es geht hin und her – bis die Nachricht kommt, dass die Anschlagspläne entdeckt worden seien und jeden Moment die Polizei auftauchen könne. Als die falsche Angèle eine Grammofonplatte mit einem Tango auflegt, glaubt sich der Zar am Ziel seiner Wünsche. Doch von ihm unbemerkt, tritt die gescheiterte Attentäterin mit ihren Kumpanen den Rückzug an. Die echte Angèle erscheint wieder, löst ziellos den Schuss aus und schickt sich an, den völlig überraschten Zaren nun tatsächlich zu fotografieren.
Auch in dieser Opera buffa spielt der Bariton Ulf Paulsen die Titelrolle eindrucksvoll. Seine hohe Statur und sein schauspielerisches Können prädestinieren ihn auch für die Rolle des Zaren. Und als „Opfer seiner erotischen Begierden“ konnte neuerlich die polnische Sopranistin Iordanka Derilovastimmlich wie schauspielerisch als falsche Angèle brillieren. Ihre Begleiter wurden vom TenorAlexander Nikolić und der Sopranistin Kristina Baran gegeben, den Anführer spielte Albrecht Kludzuweit. Den Begleiter des Zaren gab der Bass André Eckert.
Das Personal des Fotoateliers wurden von der Sopranistin Stefanie Kunschke als Angèle, vom Tenorbuffo David Ameln als Gehilfe und von der Mezzosopranistin Anne Weinkauf als Boy gespielt, die beiden Kriminalbeamten von Stephan Seefeld und Tizian Steffen. Als Chor, der vor allem den Satz Der Zar lässt sich photographieren in zahlreichen Wiederholungen zu singen hatte, war derHerrenchor des Anhaltischen Theaters Dessau im Einsatz.
Ein Detail am Rande: Im Uraufführungsjahr 1928 lehnten die sowjetischen Kulturbehörden eine Aufführung der Oper Der Zar lässt sich photographieren in Moskau ab!
Die Anhaltische Philharmonie Dessau brachte unter der Leitung von Daniel Carlberg die Partituren der beiden Komponisten Krenek und Weill in allen Nuancen zum Klingen. Bei Krenek, dessen Musik auf dem Boden der Tonalität steht und viele lyrische Passagen aufweist, genauso wie bei Weill, dessen Musik andere Klangfarben hat und beim Tango Angèle auch Jazzklänge mitschwingen.
Das Premierenpublikum war begeistert und applaudierte allen Mitwirkenden sowie dem Regieteam minutenlang, wobei auch viele Bravorufe zu hören waren.
Udo Pacolt 2.3.16
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)